Sonntag, 23. März 2014

Brief aus Wien (12) Helmut Qualtinger International Airport

Stets geachtete Obertanen!
Im Palais in der Lenaugasse sehe ich mir zusammen mit Meister Riedl, Sir Roland Kollowatsch und den vier Hauskatzen die Talkshow Stöckl an. Ich bin vor der televisionären Lektüre der Aufzeichnung fast nervöser als rund um die Aufnahme selbst.
Zu Anfang der Sendung bin prompt entsetzt: ich schiele ein wenig, finde ich. Dabei habe ich noch niemals geschielt! Eine TV-Sendung scheint mir kein naheliegender Anlass, plötzlich damit zu experimentieren. Immerhin, es sieht nur bei den ersten Einstellungen so aus. Insgesamt passt die Optik.
Meine gefühlte Distanz zum Vizekanzler a.D. Erhard Busek direkt nach der Sendung und die im vorvorangegangenen Wienbrief verewigte Einschätzung, wir würden gar Unterschiedliches meinen, wenn wir Gleiches sagen, erschließt sich mir beim Ansehen der Sendung kaum noch. Was tun? Wenn sich mir das Busek-Mysterium nicht bald erschließt, wird es einmal soweit kommen, dass ich sein Buch lesen müssen werde, um herauszufinden, wie ich den guten Mann nun einzuschätzen habe. Dabei heisst sich der Buchtitel „Unsere Zeit“, das klingt so unangenehm gegenwärtig und ich bin doch in puncto Buchlektüre hemmungslos rückwärtsgewandt.
Etwas ins Gericht gehen muss ich mit mir selbst. Als sich der Talk final der Homoehe zuwendet, reagiere ich womöglich charmant, nur leider inhaltlich nicht präzise genug. Freilich wäre es unsinnig gewesen, auf die Aussage von Lady Tobisch, von wegen „Es geht ja nur um ein Wort und 'Ehe' ist eben zwischen Mann und Frau...“ mit aufgebrachter Schärfe zu reagieren oder gar einen Skandal zu inszenieren. Nur leider kommt es vor lauter Höflichkeit nunmehr fast so heraus, als stünde ich selber nicht zu 100% hinter der Forderung nach gleichen Rechten in der Ehegesetzgebung – was ich natürlich tue. Das sei sicherheitshalber hiermit festgehalten.
Immerhin – SIEG! - befindet meine schärfste Medienkritikerin – die mütterliche! - ich sei sehr sympathisch herübergekommen und das beruhigt mich ungemein, denn meine werte Frau Mutter bekrittelt seit ich meine Visage in die Linse halten kann, ich würde immer viel zu grimmig schauen auf Fotos, in Videos, im Fernsehen und wo auch immer. Sollte mir jetzt noch meine Großmama bescheinigen, nicht genuschelt zu haben … aber das wird nicht geschehen.
Jetzt sitze ich schreibend im Abflugbereich des Wiener Flughafens, der im übrigen stante pede in Helmut Qualtinger International Airport umbenannt wird, sobald ich auf dem Habsburger Thron zu sitzen gekommen sein werde. Der sogenannte „Flughafen Franz Josef Strauß“ zu München wird zu diesem Zeitpunkt – auch der Wittelsbacher Thron harrt meiner! - bereits Kurt Eisner Flughafen heißen. Ich werde anschließend Eisners alten Traum einer Alpenrepublik aus Bayern, Österreich und der Schweiz verwirklichen. Südtirol und Oberitalien nehmen wir auch noch dazu, und damit die übrigen Italiener das nicht gleich wieder als feindseligen Akt einstufen, werden wir die Stadtstaaten Genua und Venedig wieder aufleben lassen und in ein fein austariertes Bündnissystem mit Byzanz … das wird alles fabelhaft werden, man wird die umwerfendsten Fantasieuniformen tragen und der feierlich aufgeschwungene Zustand, der bei sowas zwingend herauskommt, wird wiederum dem allzu lange vernachlässigten Reliquienhandel Auftrieb geben.
So denkt es in mir, im Wartebereich des Helmut Qualtinger International Airport. Ich war nämlich vor dem Abflug noch ein wenig im I. Bezirk unterwegs und habe mir unter anderem den Domschatz im Stefansdom angesehen. Im Grunde nicht der Rede wert, bis eben auf die Reliquiensammlung. Da sind einige sensationelle Fingerglieder, ein grandioser Oberschenkelknochen und, wie immer: Schlüsselbeine über Schlüsselbeine versammelt. Doch, doch: der Katholizismus! - sage ich mir und stelle im Geiste die Reliquiensammlung meiner Träume zusammen: die in Öl gelegten Stimmbänder des heiligen Freddie Mercury! Die Restnase des seligen Michael Jackson! Die einbalsamierte Schreibhand von Papst Karl Kraus dem Unbestechlichen, und ein unglaublich großer, geradezu elefantöser Hüftknochen des Märtyrers Egon Friedell. Dazu ein Zahnstummel von König Ludwig II. von Bayern, das Wadenbein des derzeit noch lebenden und ohnehin unsterblichen Klaus Augenthaler, das rote Herz des Franz Josef Degenhardt usw. usf.
Zum Beten kann man touristische Prunkhütten wie den Stefansdom natürlich komplett vergessen, doch das anschließende, planlose Flanieren durch Wien lässt endlich auch die Stille in ihre Rechte treten, als ich die Dominikanerkirche aus dem 17. Jahrhundert an der Predigergasse entdecke.
Dort sitze ich in der Kirchenbank, falte die Hände, schließe die Augen, atme bewusst und sinke ein in die inspirierte Lärmlosigkeit dieser heiligen Hallen. Ich danke dem Weltgeist für die Gnaden, die mir zu Wien fortgesetzt widerfahren, die himmlische Kraft strömt durch Schläfen und Ohrkanäle hinein in mein von Denken und Plappern überhitztes Köpfchen, mit einem Mal tut es einen Schlag, ein gleißendes Licht hüllt mich ein – und ich stehe plötzlich mit der Boardingkarte in der Hand in der Schlage vor Gate 36 des HQI, wie die Fluglotsen den Helmut Qualtinger International in einer besseren Zukunft bekürzelt haben. Das Flugzeug hebt kurz darauf ab und mit ihm: ich.

Prinz Chaos II.

22. März 2014

Samstag, 22. März 2014

Brief aus Wien (11) Wien blüht

Unermeßlich gunstvolle Obertanen!
Das ist ein früher Frühling in diesem 2014er Jahr. Nach einem fast schneelosen, milden Winter, ist die Natur ihrem gewohnten Werdegang gut vier Wochen voraus – und Wien blüht!
Und da gibt es auch allerhand zu blühen. Die prachtvollen Parks und Gartenanlagen Wiens machen den Fussweg von Palais Riedl 1 zu Palais Riedl 2 zu einem botanischen Erlebnis.
Und Wien blüht auch im beschaulichen Garten des vom Großvater Riedl erworbenen Anwesens in der Windmühlgasse.
Die ersten Knospen zweier Kirschbäumchen sind bereits offen, der Rest hängt abschussbereit in der Nachmittagssonne. Eine paar letzte Schneeglöckchen und Krokusse sowie die ersten Veilchen blühen, und der seine Frostschäden überwunden habende Oleander macht gleich mit. Nur der Goldregen lässt sich noch Zeit. Der ist nämlich beleidigt, dass keine Menschenhand sich rührt, ihn gegen die Zudringlichkeiten eines wilden Weins in Schutz zu nehmen.
Auch ich kann hier nicht helfen, das wird der Oleander aushalten oder selber klären müssen. Ich nämlich habe zu dieser Stunde keinerlei Handhabe, der Zudringlichkeit wilder oder auch zahmer Weine zu wehren, sondern eine halbe Flasche des von Meister Riedl ausgeschenkten Messweins bereits hinter mir.
Ja, sicher! Ich habe gestern einen gehetzten Medientag hinter mich gebracht. Das war Arbeit, eindeutig! Aaaarrrrrbeit!! Capice?! Heute denke ich nicht daran, mich weiterhetzen zu lassen und ein Wein in der prallen Sonne eines Frühlingsnachmittags ist stets Garantie, jeden Anflug von Hektik im Keim zu ersticken.
Die alkoholische Vorsichtsmaßnahme erweist sich bald als angebracht, jedoch unnötig. Denn Meister Riedl kennt das Wort „Hektik“ bis dato noch gar nicht, und Sir Roland Kollowatsch ist soeben zur Zeitungslektüre in den Garten getreten und der Herr Lektor lektüriert seine Zeitungen in einer Weise, die den Gang der Welt an sich verlangsamt. Endlich kommt auch König Artur vorbei und zerbröselt die letzten Zweifel an der gesicherten Trägheit des verbleibenden Tages.
Später, als ich mich aus dem gesicherten Terrain der Windmühlgasse wage, erwischt mich die Hektik dann aber noch: ich flaniere mit Arturius durch den Burggarten. Das Schmetterlingshaus ist heute geschlossen - wie ich vermute der übertrieben hektischen Flügelschläge wegen, die an diesem müssiggängerischen Tag reichlich unpassend wären. Was soll denn das zappelige Geflatter?
Aber jeh, was ist das? Als King Artur und ich uns unter das Reiterstandbild vom Erzherzog Karl lagern, werden wir in unserem Genuss der Abendsonne gestört durch eine unerhörte Attacke ständiger Fremdhektik: Skateboarder!
Herrschaften, das ist doch nicht der Sinn eines Reiterstandbildes, dass darauf herumgeskateboardet wird! Und wieso eigentlich werden diese Skateboarder pausenlos von den Touristen gefilmt und fotografiert, während mein teurer Artur und ich glatt ignoriert werden, unterhalb des berittenen Erzherzogs Karl? Ist das etwa nicht dokumentationswürdig, wenn Menschen von Rang nach allen Regeln der Kunst öffentlich untätig sind?
Endlich kommt Polizei herangefahren: „Jetzt hat der Spuk gleich ein Ende!“ sage ich triumphierend. Aber weder werden die Skateboarder vom Fleck weg verhaftet, noch die grausige Rockröhre, die auf dem Erzherzoglichen Steinsockel für ein grausiges Video eines an sich hübschen Songs gefilmt wird. „Des is scheint's ois erlaubt...“ wundert sich Artur. Zeiten sind das...
Bald ist die Sonne weg, der Skateboarder bleibt. Was bleibt uns übrig: dann gehen eben wir.

Wir kommen am Denkmal für Maria Theresia vorbei. Das ist 20 Meter hoch und das zahlreich abgebildete Personal schaut durch die Bank miserabel gelaunt aus der galanten Granitwäsche. Na, serwas! Dann vielleicht doch lieber die Skateboarder vom Erzherzog. Es ist auch egal. Überhaupt ist mir alles wurscht heute: Wien blüht!

Prinz Chaos II.
21. März 2014

Donnerstag, 20. März 2014

CD-Release "TsunamiSurfer" am 2. Mai in Wien

Vielgeliebte Obertanen!
Am 2. Mai 2014 ist es soweit: die neue CD startet in Deutschland und Österreich offiziell in den Handel. Begangen wir das Ereignis mit einer Präsentation unseres Plattenlabels "Sturm & Klang" im Theater am Spittelberg in Wien. Mit von der Partie werden dann Konstantin Wecker, Cynthia Nickschas, Dominik Plangger und Roger Stein sein.

Aus meinem geliebten Wien grüßt Euch

Prinz Chaos II.

PS:
Hier geht es schon einmal zur Seite unseres CD-Vertriebs Alive


Brief aus Wien (10) Wie der ORF mein Herz gewann

Stets über alle Maßen verehrte Obertanen!
„Marktl“ heißt nach dem Geburtsort unseres bayerischen Pontifex Emeritus der Regionalflieger der Lufthansa, welcher mich durch eine einzige Turbulenz hindurch von München nach Wien bringt. Dennoch erwarten mich hier keine gläubigen Massen am Rollfeld. Auch keine ungläubigen Massen. Etwas indigniert, verzichte ich im Gegenzug darauf, den Boden Österreichs bei Ankunft zu küssen. Es ist 16:35 Uhr.
Meine Verstimmung hat allerdings kaum Bestand, denn schon gewinnt die Vorfreude auf die nun folgende Szene die Oberhand: am Ausgang des Terminals erwartet mich der Fahrservice des ORF. Der Fahrer mit seinem Schild „Prinz Chaos II.“ begrüßt mich freud- und ehrerbietig, nimmt mir behände das Gepäck ab … ahm, oder vielmehr: es ist dann doch niemand da mit einem solchen Schild.
Was tun? Ich habe keine Zeit. Und zwar: rein überhaupt gar kein bisschen Zeit! Ich rufe meine Agentur an. Die fragt beim ORF nach. Der kontaktiert den Fahrer. Schließlich ruft jemand von oben „Herr Kirner?“ zu mir herunter. Es ist der Fahrer. Die Aktion hat uns achtzehn Minuten gekostet.
Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass mich der Fahrer zuvor gegoogelt hat und zwar unter meinem bürgerlichen Namen. Ein protokollarisches Desaster! Geheimrat Nepperlik wird toben.
In der Folge verwechselt mich der Mann am Steuer konsequent mit dem ebenfalls recht bekannten Trompeter Florian Kirner und verwundert sich, dass ich mir auf dem Weg zum Hotel noch rasch eine Gitarre abhole. Ich erkläre, generell nur auf Saiteninstrumenten zu trompeten. Da ist es 17:26 Uhr.
Um 17:46 Uhr sind wir am Parkhotel Schönbrunn angelangt und von da ab steigt meine Stimmung wirk- und unabänderlich. Sabine, die Promoterin, empfängt mich. In der Hotelbar wartet der Mann vom ORF Teletext. Klingt altmodisch, aber der Teletext des ORF hat immer noch über eine Million Zugriffe täglich. Am Tisch daneben wartet bereits der Redakteur von der größten Schwulenzeitschrift Österreichs. Bis 18:06 Uhr stehe ich dem Teletexter Rede und Antwort. Danach stellt Georg von der XTRA einen riesigen Kassettenrekorder, mutmaßlich aus dem 19. Jahrhundert, auf den Tisch, um unser Gespräch aufzuzeichnen. Er hat auch seinen zwölfjährigen Hund dabei.
Um 18:36 Uhr bin ich mit Sabine auf dem Zimmer und jetzt ist meine Stimmung blendend: der ORF hat eine wunderschöne Suite für mich gebucht. Nicht, dass mir derlei Äußerlichkeiten irgendwie wichtig wären. Sie sind essentiell für mich.
Ich ziehe mich um, während Sabine und ich kurz die Talkshow vorbesprechen. Baroness Lotte Tobisch ist mit mir geladen: jahrelange Organisatorin des Opernballs, Schauspielerin, Salondame, Adorno-Freundin. Dazu Erhard Busek: ehemaliger Vizekanzler, ÖVP, neuerdings Fürsprecher der Partei der „Neos“. Außerdem kommt der Krimi-Autor Bernhard Aicher, dessen neuer Roman soeben auf Platz 2 der Bestsellerliste in den Handel gestartet ist.
Um 19:07 Uhr sitzen Sabine und ich im Auto. Der Fahrservice bringt uns zum ORF-Zentrum. Und jetzt legt sich auch die letzte Nervosität: unser aberwitzig knapper Zeitplan hat tatsächlich funktioniert, alles klappt wie am Schnürchen. Rechtzeitig sitze ich in der Maske. Kurz darauf treffe ich die junge, sympathische Redaktion von Barbara Stöckl. Dann trifft der Krimiautor ein, der Vizekanzler a.D. und schließlich die große Tobisch. Ich gehe als erster hinüber ins Studio, um die Gitarre zu stimmen, denn ich werde auch eine Minute Zeit haben, um mit „...dass man sich wärmt, in der Nacht!“ die Sendung zu beschließen.
Im Studio begrüßt mich Barbara Stöckl herzlich und sieht umwerfend aus. Ums Set herum wuseln grob überschlagen zweitausend Menschen. Schon sitzen alle Diskutanten in Position. Wir werden verkabelt, es ist jetzt 20:12 und die Live-Aufzeichnung, die am Abend darauf unverändert ausgestrahlt werden wird, beginnt.
Eine Stunde später hat sich alles angefühlt wie drei Stunden. Meine Promo-Sabine hat alles von der Regie aus überwacht und ist höchstzufrieden. Ich selber auch. Stöckl ist halt auch nicht Lanz. Hier treten nicht ein paar Gestörte zum moderierten Hahnenkampf an. Hier wird miteinander geredet und ich muss direkt aufpassen, dass mich die 88jährige Lotte Tobisch nicht an die Wand revoltiert, so wütend spricht sie über die Politik der Gegenwart.
Eine in den Schlussminuten der Sendung dann plötzlich drohende diplomatische Krise zwischen der Tobisch und mir konnte ich unter Mithilfe des Krimi-Autors, Aufbietung alles zur Verfügung stehenden Charmes und meines Liedes, das ich der Tobisch unverdrossen zum Geburtstag widme, zur allgemeinen Erleichterung beheben.
Die Stöckl-Redaktion ist begeistert von der Sendung, der ursympathische Bernhard Aicher macht noch ein Foto von Baroness Tobisch et moi. Der ehemalige Vizekanzler der ÖVP und ich verzichten auf ein Foto und sind still übereingekommen, dass wir mitunter Verschiedenes meinen, wenn wir scheinbar Gleiches sagen. So hat alles seine Richtigkeit. Um 22:11 Uhr bin ich zurück in meiner Suite.
Dort hält es mich nicht sehr lange. Ich breche auf zur Kettenbrückengasse, ins schwule Wien. Das wird ein netter Ausflug mit ein paar erfreulichen Gesprächen mit netten Leuten, die ich in der Mango Bar kennenlerne. Da ist Christoph, der im Marketing arbeitet und jungen Leuten zweifelhafte Bankkonten verscherbelt. Sein Kumpel produziert Musik, darunter auch Scores für den ORF. Zwei mäßig sympathische Ukrainer spendieren immerhin zwei Runden Wodka. Zwischendurch mache ich mit einem jungen Bolivianer herum. Alex aus Birmingham studiert Germanistik in Wien und ist wunderbar gescheit.
Irgendwann werden die beiden Jungs aus der Ukraine etwas aufdringlich. Ich fordere lauthals ein Referendum! Nach einem Aperol Sprizz und drei Radlerbieren steige ich dann aber ins Taxi, ohne das Ergebnis der Befragung abzuwarten. Schließlich möchte ich das Frühstück im Parkhotel Schönbrunn auf gar keinen Fall verpennen.
Im recht festlichen Doppelbett meiner Suite schreibe ich anschließend noch rasch diesen Text und eine Notiz an mein Hofsekretariat. Ich darf nicht vergessen, bei Rückkehr ein Dekret zu erlassen, dass das ORF im gesamten deutschen Sendegebiet wieder frei zugänglich macht. Denn ich liebe diesen Sender - und wer auch von mir geliebt werden möchte, findet in diesem Text gewisse Hinweise, welche Art der Hotelbuchung zuverlässig Sorge trägt, mein bescheidenes Prinzenherz zu gewinnen. Es ist 3:30 Uhr.

Prinz Chaos II.

20. März 2014

Mittwoch, 19. März 2014

Brief aus Wien (9) Ermahnung an die Stadt Wien, nicht zu werden, wie ich meiner Vaterstadt München ungerechterweise zu sein geworden unterstelle

Meistgeliebte Obertanen!
Der neuen Liebe mahnend die Sünden der verflossenen vorzuhalten, ist nun wahrlich eine Unartigkeit. „Mir san ned so weich wie die Wiener, mir san ned so laut wie am Rhein“ hatte mein Urgroßvater Theo Prosel die Münchner einst kulturgeografisch verortet. In Wien bin ich wie frischverliebt, Köln bleibt mir ewig geliebte Wahlheimat, und natürlich liebe ich mein altes München auch immer noch, sonst könnte mich die Entwicklung dieser Stadt ja nicht so derartig aufregen.
Wir machen München zur schnellsten Stadt Europas!“ lese ich auf einer dieser Infoscreens, die auch noch den nahverkehrenden Untergrund unserer Städte verpesten mit Television. Sicherlich geht es dabei um die Übertragungsgeschwindigkeit der Datenhighways, oder dergleichen Sinnvolles. Jedoch: man muss schon verzweifelt wenig von der Stadt an der Isar verstanden haben, um die wüste Drohung dieses Versprechens zu verkennen. München noch schneller? Na, aber bitte, danke: Nein!!
Es gab Zeiten, da prahlte ein gemütlichkeitstrunkenes München in die weite Welt hinaus, trotz seiner siebenstelligen Bewohnerschaft lebensgefühlt ein Dorf geblieben zu sein. Die Betriebsamkeit der Großstädte im Norden – der durchaus auch einmal im Westen liegen konnte! - empfand man dagegen als peinlich und der gehobenen Lebensqualität südlicher Gefilde unangemessen.
Ich aber rannte heute frühabends durch den Englischen Garten und war bald ganz verloren, weil ich keine Ecke zu finden vermochte, wo man den Autolärm des Mittleren Rings nicht dröhnen hörte. Ich weiß schon: im Sommer, wenn die Bäume ihr lärmschluckendes Blätterkleid angelegt haben, ist es viel besser. Aber ich bin grad heute hier, daheim in München, der Abend ist lau, und ich bin nach Stunden eines recht anstrengenden Meetings groggy, sehr verletzlich und außerdem nervös, weil ich morgen beim ORF in einer Talkshow sitze! Ich weiß nicht mehr, wo ich noch hinfliehen sollte vor dem Lärm einer Stadt, die einmal als Isar-Athen angelegt worden ist von den Wittelsbacher Königen.
Am Ende lande ich im bereits dunklen Nordfriedhof. Da ist es auch nicht wirklich leise, aber wenigstens sind hier die Menschen tot... Na, gut: wir wollen nicht ungerecht sein. Und bis hierhin bin ich wahrlich sehr ungerecht gegen meine Vaterstadt in diesem Text.
Habe ich nicht tags zuvor manches schöne Fleckerl München entdeckt? Das Denkmal für Orlando di Lasso ist aus unerfindlichen Gründen zu einer Michael-Jackson-Gedenkstätte mutiert. Der massigen Ahorn hat mich gefreut, im winzigen Hinterhof von Charlie und dem Brucker. Und das Palais Holnstein lauert trotz seines majestätsverräterischen Namensgebers sehr gelungen hinterm Salvatorplatz.
Und hatte diesmal nicht sogar die schwule Szene in der Müllerstraße brav hergehalten, als Kulisse für einen Exzess, der sich gewaschen und hinterher zu zwein in einem Bett geendigt hatte?
In der Tat: meine Vaterstadt ist freundlich gewesen zu mir in diesen Tagen. Und trotzdem kann ich mich nicht enthalten, meiner Entfremdung von München erneut öffentlichen Ausdruck zu verleihen – wenngleich ich dieses wissend ungerecht, aus rein pädagogischen Gründen und mit Blickrichtung auf meine neue Flamme Wien tue, was eine Unartigkeit darstellt, wie eingangs zugegeben.
Wien: erhalte Dir die Langsamkeit Deines Servicepersonals! Schirme gegen die Drohungen von C&A und H&M diesen ungarischen Schneider hinter der Mariahilferstraße, der mir drei Grappa einschenkt, während er zwanzig Minuten meine blaue Galauniform repariert! Wirf Dich in Harnisch, Wien, und wehre der Unart, bei jeder Gelegenheit ein Mobiltelefon zu zücken! Tue alles, die Mieten niedrig und Immobilienfonds fern zu halten! Führe eine Zulassungsbeschränkung ein für Porsche Cayennes und SUVs! Segen Deinen Straßenmusikern! Geduld Deinen Schwatzköpfen, die sich immerhin versuchen im Gespräch über das Wahre, Schöne und Gute! Mehre täglich die Zahl Deiner Kauze! Und vor allen Dingen, Wien: erhalte Dir die Weichheit Deiner Sprache!


Montag, 3. März 2014

CD "TsunamiSurfer" im Presswerk!!


Es ist vollbracht! Gemischt und gemastert von Ralf Metzler in Innsbruck und mit einem sensationellen Booklet von Malte Stabenau wird "TsunamiSurfer" - die neue CD des Chaosprinzen - ab sofort in Presswerk und Druckerei produziert. Der Tonträger erscheint offiziell am 2. Mai 2014, auf dem Liedermacherlabel Sturm&Klang. Die CD wird aber bereits ab dem Prinzen-Auftritt in den Hamburger Kammerspielen am 11. März live erhältlich sein.

Samstag, 1. März 2014

Brief aus Wien (8) Bericht vom Rosenball – Für einen neuen, schwulen Separatismus!

Unendlich verehrte Obertanen!
Wie mir Artur erzählt, ist der Rosenball den Protestaktionen gegen den Wiener Opernball in den 80er Jahren entsprungen. Zu deren spektakulärsten welchen gehörte eine Unterwanderung des Opernballpublikums dank eines finanzkräftigen schwulen Sponsors, der den Aktivisten die Eintrittskarten bezahlte. Als dann auf den oberen Rängen plötzlich Transparente entrollt wurden und wilder Lärm anhob, nutzte Abteilung 2 des Tuntenterrorkommandos die allgemeine Ablenkung, um auf dem Saalparkett Schmierseife zu verteilen. So oder so ähnlich hat es sich zugetragen...
Der Rosenball war dann die folgerichtige Maßnahme, zeitgleich mit dem Opernball eine radikale, queere Gegenveranstaltung zu etablieren. Die Idee ist gut: so rennt in einem Kontrast, bei dem unsereins naturgemäß nur glanzvoll siegen kann, zugleich mit den traditionsverstockten Opernballbesuchern gackerndes queeres Partyvolk durch Wien.
Speziell das Etablieren des Rosenballs hat augenscheinlich hervorragend geklappt. Zwanzig Jahre später ist er ein Wiener Ball-Highlight für sich und findet nicht mehr in abgeranzten Discokellern mit Darkroom statt, sondern im Palais Auersperg.
Zeitgleich ist der Opernball bis zur Protestunwürdigkeit herabgekommen. Vorbei die seligen Zeiten, als Franz Josef Strauß sich in der Loge mit Waffenhändlern und alten Nazis traf. Heute: Johannes B. Kerner und sonstige C-D-E-F-G Promis und zahlungskräftige Adabeis. Die Wiener Gesellschaft hält sich eher fern und trifft sich beim Philharmonikerball.
Das Palais Auersperg des Rosenballs nun also, fünf Gehminuten von Palais Riedl 1 gelegen, ist ein hübsch repräsentabler Bau, einst errichtet für die längst erloschene Sippe der Ranfranos. Er diente zwischenzeitlich Joseph von Sachsen-Hildburghausen als Winterresidenz. In den letzten Kriegstagen 1945 versammelten sich hier tatkräftige Bürger, um die kampflose Übergabe Wiens an die Sowjets zu managen, was dieser schönsten Kapitale Europas weitere Zerstörung ersparte.
Gestern versammelte sich im Palais Auersperg also die schwullesbische Welt zum … ach, Kinder! Ich wünschte mir, so wäre es gewesen. Jedoch schon in der Schlange am Einlaß gewahrte ich nicht nur elegantes queeres Volk aller Altersgruppen, sondern eine Heteroquote, die Ungutes befürchten ließ.
Schaun's: das Schöne an einer Subkultur ist, dass dort das ewig ins karge Unten abgedrückte Lieben der Anderen einmal ganz oben reitet, den Sturmwind in den bunten Haaren, den Rössern der Lebenslust die Sporen! Und wie Johannes Kram – boy, this guy knows how to throw a party! - bei seiner diesjährigen Geburtstagfeier feststellte: „Wir sind die Schwulen, und das bedeutet, dass wir es gerne komplett übertreiben.“
Und so kommt es, dass der durchschnittliche Hetero sich wohl kaum mehr kennt vor Begeisterung darüber, wie wild und schrill und ungezwungen es bei Lesbisch, Schwul und Co. im Auersperg zugegangen sei – während meinereins sich immer noch fragt, wann sich die Handbremse wohl lösen mag.
Um meine skeptische Beurteilung korrekt einzuordnen, sei berichtet, dass nicht nur die gefühlte Mehrheit heterosexueller Besucher mich belastete. Es dauerte auch eine lange Weile, bis ich meine rampanten Rückenschmerzen in den Griff bekam.
Irgendwann gelang das Schmerzmanagement dann doch, mit einem Cocktail aus Painkillern, eineinhalb Marihuanakeksen und einer halben Ecstacy bei fast gar keinem Alkoholkonsum. Bis dahin übte ich mich als trotzig würdige Balldame, fand mir eine rückenschonende Sitzposition auf einem Podest im Raucherbereich und thronte dort, gut sehend und noch besser gesehen werdend, bis mir der Einschlag der schmerztötendenden Kombination die Bewegungsfreiheit zurückgewann.
So hörte ich immerhin Jimmy Summerville, der knappe zwanzig Minuten auftrat. Kam mit dem Therapeuten Otto und seinem reizenden Freund ins Gespräch, mit Steffi und vielen anderen herzlichen Menschen, deren Namen mir nicht erinnerlich sind. Irgendwann gelang dann sogar der Zusammenschluß mit meinen arg unzuverlässigen Balladjutanten um meinen alten Schulfreund Enzio.
Endlich schmerzfrei öffnete sich mein Blick für die Schönheit dieser festlichen Hallen im Palais Auersperg, für gelungene Kostüme und fabelhafte Menschen. Sogar wagte ich mich bald ein wenig ans Flirten. Ich verwickle also diesen einsamen Schönen in ein Gespräch – da spritzt wie eine Gewittergäute seine mutmaßliche Freundin dazwischen, wirft sich förmlich in unser Gespräch, hastig und resolut, und verweist mich auf ihren Eigentumsanspruch an dem Beflirteten. „Du wirst zweimal fürchterlich träumen des Nachts, dann wird wieder alles gut sein, no worry!“ werfe ich ihr hin und sinniere über Strategien, die Heteroquote bei queeren Anlässen zuverlässig unter 40% abzusenken.
Artur, der fabelhaft aussieht und am Ende frohen Muts mit einem Jüngling abzieht, zuckt resignant die Schultern, denn dieses Problem kenne man auch vom Lifeball und anderen Anlässen des sexualdevianten Festkalenders. Irgendwann ist die Festivität so angesagt, dass auch die Heteros von Welt vermeinen, uns ihre Anwesenheit nicht ersparen zu dürfen. Damit beginnt wieder alles das von vorne, was wir beendet wissen wollten bei Gründung des Events: die grausige Körpersprache des heterosexuellen Mannes rempelt durch die eleganten Flure, die Armada diese Männer furios beschützender Matronen fährt ein, im späteren Verlauf halten uns die besoffenen Heteros dann mitten auf einem nominell queeren Ereignis lange Vorträge über ihre Toleranz und erklären schulterklopfend, dass sie „kein Problem mit uns“ haben - nicht ahnend, welche unerträglichen Probleme wir seit Stunden schon mit ihnen haben.
Ständig wird man so daran erinnert, wie richtig es ist, dass der Terminus „Homophobie“ eine neurotische Angststörung beschreibt.
Ereignisse wie der Rosenball bestärken mich in meiner Überzeugung, dass es einen queeren Separatismus dringend braucht und ewig brauchen wird – und darüberhinaus braucht es einen speziell schwulen Separatismus, denn der totale Verlust öffentlicher Erotik und Sexualität, der beim Rosenball ebenfalls eklatant auffiel, hat auch damit zu tun, dass die Radikalität schwuler Verruchtheit schon im queeren Kontext gnadenlos untergeht, nachdem es beispielsweise die wenigsten Lesben zu schätzen wissen, wenn sich schwule Männer in der Öffentlichkeit einer queeren Veranstaltung ungezwungen an die Wäsche gehen.
Gegen vier Uhr also kam ich zurück ins heimatliche Palais. Schmerzfrei und unbegleitet, denn weder Rückenschmerzen noch die dagegen eingesetzten Substanzen hatten meiner Libido sehr gut getan. Immerhin, ich war ein tapferes Mädchen gewesen, hatte mich wacker gehalten und trotz der Widrigkeiten durchgehend gut ausgesehen.

Prinz Chaos II.

28. Februar 2014