Sonntag, 23. März 2014

Brief aus Wien (12) Helmut Qualtinger International Airport

Stets geachtete Obertanen!
Im Palais in der Lenaugasse sehe ich mir zusammen mit Meister Riedl, Sir Roland Kollowatsch und den vier Hauskatzen die Talkshow Stöckl an. Ich bin vor der televisionären Lektüre der Aufzeichnung fast nervöser als rund um die Aufnahme selbst.
Zu Anfang der Sendung bin prompt entsetzt: ich schiele ein wenig, finde ich. Dabei habe ich noch niemals geschielt! Eine TV-Sendung scheint mir kein naheliegender Anlass, plötzlich damit zu experimentieren. Immerhin, es sieht nur bei den ersten Einstellungen so aus. Insgesamt passt die Optik.
Meine gefühlte Distanz zum Vizekanzler a.D. Erhard Busek direkt nach der Sendung und die im vorvorangegangenen Wienbrief verewigte Einschätzung, wir würden gar Unterschiedliches meinen, wenn wir Gleiches sagen, erschließt sich mir beim Ansehen der Sendung kaum noch. Was tun? Wenn sich mir das Busek-Mysterium nicht bald erschließt, wird es einmal soweit kommen, dass ich sein Buch lesen müssen werde, um herauszufinden, wie ich den guten Mann nun einzuschätzen habe. Dabei heisst sich der Buchtitel „Unsere Zeit“, das klingt so unangenehm gegenwärtig und ich bin doch in puncto Buchlektüre hemmungslos rückwärtsgewandt.
Etwas ins Gericht gehen muss ich mit mir selbst. Als sich der Talk final der Homoehe zuwendet, reagiere ich womöglich charmant, nur leider inhaltlich nicht präzise genug. Freilich wäre es unsinnig gewesen, auf die Aussage von Lady Tobisch, von wegen „Es geht ja nur um ein Wort und 'Ehe' ist eben zwischen Mann und Frau...“ mit aufgebrachter Schärfe zu reagieren oder gar einen Skandal zu inszenieren. Nur leider kommt es vor lauter Höflichkeit nunmehr fast so heraus, als stünde ich selber nicht zu 100% hinter der Forderung nach gleichen Rechten in der Ehegesetzgebung – was ich natürlich tue. Das sei sicherheitshalber hiermit festgehalten.
Immerhin – SIEG! - befindet meine schärfste Medienkritikerin – die mütterliche! - ich sei sehr sympathisch herübergekommen und das beruhigt mich ungemein, denn meine werte Frau Mutter bekrittelt seit ich meine Visage in die Linse halten kann, ich würde immer viel zu grimmig schauen auf Fotos, in Videos, im Fernsehen und wo auch immer. Sollte mir jetzt noch meine Großmama bescheinigen, nicht genuschelt zu haben … aber das wird nicht geschehen.
Jetzt sitze ich schreibend im Abflugbereich des Wiener Flughafens, der im übrigen stante pede in Helmut Qualtinger International Airport umbenannt wird, sobald ich auf dem Habsburger Thron zu sitzen gekommen sein werde. Der sogenannte „Flughafen Franz Josef Strauß“ zu München wird zu diesem Zeitpunkt – auch der Wittelsbacher Thron harrt meiner! - bereits Kurt Eisner Flughafen heißen. Ich werde anschließend Eisners alten Traum einer Alpenrepublik aus Bayern, Österreich und der Schweiz verwirklichen. Südtirol und Oberitalien nehmen wir auch noch dazu, und damit die übrigen Italiener das nicht gleich wieder als feindseligen Akt einstufen, werden wir die Stadtstaaten Genua und Venedig wieder aufleben lassen und in ein fein austariertes Bündnissystem mit Byzanz … das wird alles fabelhaft werden, man wird die umwerfendsten Fantasieuniformen tragen und der feierlich aufgeschwungene Zustand, der bei sowas zwingend herauskommt, wird wiederum dem allzu lange vernachlässigten Reliquienhandel Auftrieb geben.
So denkt es in mir, im Wartebereich des Helmut Qualtinger International Airport. Ich war nämlich vor dem Abflug noch ein wenig im I. Bezirk unterwegs und habe mir unter anderem den Domschatz im Stefansdom angesehen. Im Grunde nicht der Rede wert, bis eben auf die Reliquiensammlung. Da sind einige sensationelle Fingerglieder, ein grandioser Oberschenkelknochen und, wie immer: Schlüsselbeine über Schlüsselbeine versammelt. Doch, doch: der Katholizismus! - sage ich mir und stelle im Geiste die Reliquiensammlung meiner Träume zusammen: die in Öl gelegten Stimmbänder des heiligen Freddie Mercury! Die Restnase des seligen Michael Jackson! Die einbalsamierte Schreibhand von Papst Karl Kraus dem Unbestechlichen, und ein unglaublich großer, geradezu elefantöser Hüftknochen des Märtyrers Egon Friedell. Dazu ein Zahnstummel von König Ludwig II. von Bayern, das Wadenbein des derzeit noch lebenden und ohnehin unsterblichen Klaus Augenthaler, das rote Herz des Franz Josef Degenhardt usw. usf.
Zum Beten kann man touristische Prunkhütten wie den Stefansdom natürlich komplett vergessen, doch das anschließende, planlose Flanieren durch Wien lässt endlich auch die Stille in ihre Rechte treten, als ich die Dominikanerkirche aus dem 17. Jahrhundert an der Predigergasse entdecke.
Dort sitze ich in der Kirchenbank, falte die Hände, schließe die Augen, atme bewusst und sinke ein in die inspirierte Lärmlosigkeit dieser heiligen Hallen. Ich danke dem Weltgeist für die Gnaden, die mir zu Wien fortgesetzt widerfahren, die himmlische Kraft strömt durch Schläfen und Ohrkanäle hinein in mein von Denken und Plappern überhitztes Köpfchen, mit einem Mal tut es einen Schlag, ein gleißendes Licht hüllt mich ein – und ich stehe plötzlich mit der Boardingkarte in der Hand in der Schlage vor Gate 36 des HQI, wie die Fluglotsen den Helmut Qualtinger International in einer besseren Zukunft bekürzelt haben. Das Flugzeug hebt kurz darauf ab und mit ihm: ich.

Prinz Chaos II.

22. März 2014

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