Stets geachtete Obertanen!
Im Palais in der Lenaugasse sehe ich
mir zusammen mit Meister Riedl, Sir Roland Kollowatsch und den vier
Hauskatzen die Talkshow Stöckl an. Ich bin vor der televisionären
Lektüre der Aufzeichnung fast nervöser als rund um die Aufnahme
selbst.
Zu Anfang der Sendung bin prompt
entsetzt: ich schiele ein wenig, finde ich. Dabei habe ich noch
niemals geschielt! Eine TV-Sendung scheint mir kein naheliegender
Anlass, plötzlich damit zu experimentieren. Immerhin, es sieht nur
bei den ersten Einstellungen so aus. Insgesamt passt die Optik.
Meine gefühlte Distanz zum Vizekanzler
a.D. Erhard Busek direkt nach der Sendung und die im
vorvorangegangenen Wienbrief verewigte Einschätzung, wir würden gar
Unterschiedliches meinen, wenn wir Gleiches sagen, erschließt sich
mir beim Ansehen der Sendung kaum noch. Was tun? Wenn sich mir das
Busek-Mysterium nicht bald erschließt, wird es einmal soweit kommen,
dass ich sein Buch lesen müssen werde, um herauszufinden, wie ich
den guten Mann nun einzuschätzen habe. Dabei heisst sich der
Buchtitel „Unsere Zeit“, das klingt so unangenehm gegenwärtig
und ich bin doch in puncto Buchlektüre hemmungslos rückwärtsgewandt.
Etwas ins Gericht gehen muss ich mit
mir selbst. Als sich der Talk final der Homoehe zuwendet, reagiere
ich womöglich charmant, nur leider inhaltlich nicht präzise genug.
Freilich wäre es unsinnig gewesen, auf die Aussage von Lady Tobisch,
von wegen „Es geht ja nur um ein Wort und 'Ehe' ist eben zwischen
Mann und Frau...“ mit aufgebrachter Schärfe zu reagieren oder gar
einen Skandal zu inszenieren. Nur leider kommt es vor lauter
Höflichkeit nunmehr fast so heraus, als stünde ich selber nicht zu
100% hinter der Forderung nach gleichen Rechten in der
Ehegesetzgebung – was ich natürlich tue. Das sei sicherheitshalber
hiermit festgehalten.
Immerhin – SIEG! - befindet meine
schärfste Medienkritikerin – die mütterliche! - ich sei sehr
sympathisch herübergekommen und das beruhigt mich ungemein, denn
meine werte Frau Mutter bekrittelt seit ich meine Visage in die Linse
halten kann, ich würde immer viel zu grimmig schauen auf Fotos, in
Videos, im Fernsehen und wo auch immer. Sollte mir jetzt noch meine
Großmama bescheinigen, nicht genuschelt zu haben … aber das wird
nicht geschehen.
Jetzt sitze ich schreibend im
Abflugbereich des Wiener Flughafens, der im übrigen stante pede in
Helmut Qualtinger International Airport umbenannt wird, sobald ich
auf dem Habsburger Thron zu sitzen gekommen sein werde. Der
sogenannte „Flughafen Franz Josef Strauß“ zu München wird zu
diesem Zeitpunkt – auch der Wittelsbacher Thron harrt meiner! -
bereits Kurt Eisner Flughafen heißen. Ich werde anschließend
Eisners alten Traum einer Alpenrepublik aus Bayern, Österreich und
der Schweiz verwirklichen. Südtirol und Oberitalien nehmen wir auch
noch dazu, und damit die übrigen Italiener das nicht gleich wieder
als feindseligen Akt einstufen, werden wir die Stadtstaaten Genua und
Venedig wieder aufleben lassen und in ein fein austariertes
Bündnissystem mit Byzanz … das wird alles fabelhaft werden, man
wird die umwerfendsten Fantasieuniformen tragen und der feierlich
aufgeschwungene Zustand, der bei sowas zwingend herauskommt, wird
wiederum dem allzu lange vernachlässigten Reliquienhandel Auftrieb
geben.
So denkt es in mir, im Wartebereich des
Helmut Qualtinger International Airport. Ich war nämlich vor dem
Abflug noch ein wenig im I. Bezirk unterwegs und habe mir unter
anderem den Domschatz im Stefansdom angesehen. Im Grunde nicht der
Rede wert, bis eben auf die Reliquiensammlung. Da sind einige
sensationelle Fingerglieder, ein grandioser Oberschenkelknochen und,
wie immer: Schlüsselbeine über Schlüsselbeine versammelt. Doch,
doch: der Katholizismus! - sage ich mir und stelle im Geiste die
Reliquiensammlung meiner Träume zusammen: die in Öl gelegten
Stimmbänder des heiligen Freddie Mercury! Die Restnase des seligen
Michael Jackson! Die einbalsamierte Schreibhand von Papst Karl Kraus
dem Unbestechlichen, und ein unglaublich großer, geradezu
elefantöser Hüftknochen des Märtyrers Egon Friedell. Dazu ein
Zahnstummel von König Ludwig II. von Bayern, das Wadenbein des
derzeit noch lebenden und ohnehin unsterblichen Klaus Augenthaler,
das rote Herz des Franz Josef Degenhardt usw. usf.
Zum Beten kann man touristische
Prunkhütten wie den Stefansdom natürlich komplett vergessen, doch
das anschließende, planlose Flanieren durch Wien lässt endlich auch
die Stille in ihre Rechte treten, als ich die Dominikanerkirche aus
dem 17. Jahrhundert an der Predigergasse entdecke.
Dort sitze ich in der Kirchenbank,
falte die Hände, schließe die Augen, atme bewusst und sinke ein in
die inspirierte Lärmlosigkeit dieser heiligen Hallen. Ich danke dem
Weltgeist für die Gnaden, die mir zu Wien fortgesetzt widerfahren,
die himmlische Kraft strömt durch Schläfen und Ohrkanäle hinein in
mein von Denken und Plappern überhitztes Köpfchen, mit einem Mal
tut es einen Schlag, ein gleißendes Licht hüllt mich ein – und
ich stehe plötzlich mit der Boardingkarte in der Hand in der Schlage
vor Gate 36 des HQI, wie die Fluglotsen den Helmut Qualtinger
International in einer besseren Zukunft bekürzelt haben. Das
Flugzeug hebt kurz darauf ab und mit ihm: ich.
Prinz Chaos II.
22. März 2014
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