Donnerstag, 20. März 2014

Brief aus Wien (10) Wie der ORF mein Herz gewann

Stets über alle Maßen verehrte Obertanen!
„Marktl“ heißt nach dem Geburtsort unseres bayerischen Pontifex Emeritus der Regionalflieger der Lufthansa, welcher mich durch eine einzige Turbulenz hindurch von München nach Wien bringt. Dennoch erwarten mich hier keine gläubigen Massen am Rollfeld. Auch keine ungläubigen Massen. Etwas indigniert, verzichte ich im Gegenzug darauf, den Boden Österreichs bei Ankunft zu küssen. Es ist 16:35 Uhr.
Meine Verstimmung hat allerdings kaum Bestand, denn schon gewinnt die Vorfreude auf die nun folgende Szene die Oberhand: am Ausgang des Terminals erwartet mich der Fahrservice des ORF. Der Fahrer mit seinem Schild „Prinz Chaos II.“ begrüßt mich freud- und ehrerbietig, nimmt mir behände das Gepäck ab … ahm, oder vielmehr: es ist dann doch niemand da mit einem solchen Schild.
Was tun? Ich habe keine Zeit. Und zwar: rein überhaupt gar kein bisschen Zeit! Ich rufe meine Agentur an. Die fragt beim ORF nach. Der kontaktiert den Fahrer. Schließlich ruft jemand von oben „Herr Kirner?“ zu mir herunter. Es ist der Fahrer. Die Aktion hat uns achtzehn Minuten gekostet.
Im weiteren Verlauf stellt sich heraus, dass mich der Fahrer zuvor gegoogelt hat und zwar unter meinem bürgerlichen Namen. Ein protokollarisches Desaster! Geheimrat Nepperlik wird toben.
In der Folge verwechselt mich der Mann am Steuer konsequent mit dem ebenfalls recht bekannten Trompeter Florian Kirner und verwundert sich, dass ich mir auf dem Weg zum Hotel noch rasch eine Gitarre abhole. Ich erkläre, generell nur auf Saiteninstrumenten zu trompeten. Da ist es 17:26 Uhr.
Um 17:46 Uhr sind wir am Parkhotel Schönbrunn angelangt und von da ab steigt meine Stimmung wirk- und unabänderlich. Sabine, die Promoterin, empfängt mich. In der Hotelbar wartet der Mann vom ORF Teletext. Klingt altmodisch, aber der Teletext des ORF hat immer noch über eine Million Zugriffe täglich. Am Tisch daneben wartet bereits der Redakteur von der größten Schwulenzeitschrift Österreichs. Bis 18:06 Uhr stehe ich dem Teletexter Rede und Antwort. Danach stellt Georg von der XTRA einen riesigen Kassettenrekorder, mutmaßlich aus dem 19. Jahrhundert, auf den Tisch, um unser Gespräch aufzuzeichnen. Er hat auch seinen zwölfjährigen Hund dabei.
Um 18:36 Uhr bin ich mit Sabine auf dem Zimmer und jetzt ist meine Stimmung blendend: der ORF hat eine wunderschöne Suite für mich gebucht. Nicht, dass mir derlei Äußerlichkeiten irgendwie wichtig wären. Sie sind essentiell für mich.
Ich ziehe mich um, während Sabine und ich kurz die Talkshow vorbesprechen. Baroness Lotte Tobisch ist mit mir geladen: jahrelange Organisatorin des Opernballs, Schauspielerin, Salondame, Adorno-Freundin. Dazu Erhard Busek: ehemaliger Vizekanzler, ÖVP, neuerdings Fürsprecher der Partei der „Neos“. Außerdem kommt der Krimi-Autor Bernhard Aicher, dessen neuer Roman soeben auf Platz 2 der Bestsellerliste in den Handel gestartet ist.
Um 19:07 Uhr sitzen Sabine und ich im Auto. Der Fahrservice bringt uns zum ORF-Zentrum. Und jetzt legt sich auch die letzte Nervosität: unser aberwitzig knapper Zeitplan hat tatsächlich funktioniert, alles klappt wie am Schnürchen. Rechtzeitig sitze ich in der Maske. Kurz darauf treffe ich die junge, sympathische Redaktion von Barbara Stöckl. Dann trifft der Krimiautor ein, der Vizekanzler a.D. und schließlich die große Tobisch. Ich gehe als erster hinüber ins Studio, um die Gitarre zu stimmen, denn ich werde auch eine Minute Zeit haben, um mit „...dass man sich wärmt, in der Nacht!“ die Sendung zu beschließen.
Im Studio begrüßt mich Barbara Stöckl herzlich und sieht umwerfend aus. Ums Set herum wuseln grob überschlagen zweitausend Menschen. Schon sitzen alle Diskutanten in Position. Wir werden verkabelt, es ist jetzt 20:12 und die Live-Aufzeichnung, die am Abend darauf unverändert ausgestrahlt werden wird, beginnt.
Eine Stunde später hat sich alles angefühlt wie drei Stunden. Meine Promo-Sabine hat alles von der Regie aus überwacht und ist höchstzufrieden. Ich selber auch. Stöckl ist halt auch nicht Lanz. Hier treten nicht ein paar Gestörte zum moderierten Hahnenkampf an. Hier wird miteinander geredet und ich muss direkt aufpassen, dass mich die 88jährige Lotte Tobisch nicht an die Wand revoltiert, so wütend spricht sie über die Politik der Gegenwart.
Eine in den Schlussminuten der Sendung dann plötzlich drohende diplomatische Krise zwischen der Tobisch und mir konnte ich unter Mithilfe des Krimi-Autors, Aufbietung alles zur Verfügung stehenden Charmes und meines Liedes, das ich der Tobisch unverdrossen zum Geburtstag widme, zur allgemeinen Erleichterung beheben.
Die Stöckl-Redaktion ist begeistert von der Sendung, der ursympathische Bernhard Aicher macht noch ein Foto von Baroness Tobisch et moi. Der ehemalige Vizekanzler der ÖVP und ich verzichten auf ein Foto und sind still übereingekommen, dass wir mitunter Verschiedenes meinen, wenn wir scheinbar Gleiches sagen. So hat alles seine Richtigkeit. Um 22:11 Uhr bin ich zurück in meiner Suite.
Dort hält es mich nicht sehr lange. Ich breche auf zur Kettenbrückengasse, ins schwule Wien. Das wird ein netter Ausflug mit ein paar erfreulichen Gesprächen mit netten Leuten, die ich in der Mango Bar kennenlerne. Da ist Christoph, der im Marketing arbeitet und jungen Leuten zweifelhafte Bankkonten verscherbelt. Sein Kumpel produziert Musik, darunter auch Scores für den ORF. Zwei mäßig sympathische Ukrainer spendieren immerhin zwei Runden Wodka. Zwischendurch mache ich mit einem jungen Bolivianer herum. Alex aus Birmingham studiert Germanistik in Wien und ist wunderbar gescheit.
Irgendwann werden die beiden Jungs aus der Ukraine etwas aufdringlich. Ich fordere lauthals ein Referendum! Nach einem Aperol Sprizz und drei Radlerbieren steige ich dann aber ins Taxi, ohne das Ergebnis der Befragung abzuwarten. Schließlich möchte ich das Frühstück im Parkhotel Schönbrunn auf gar keinen Fall verpennen.
Im recht festlichen Doppelbett meiner Suite schreibe ich anschließend noch rasch diesen Text und eine Notiz an mein Hofsekretariat. Ich darf nicht vergessen, bei Rückkehr ein Dekret zu erlassen, dass das ORF im gesamten deutschen Sendegebiet wieder frei zugänglich macht. Denn ich liebe diesen Sender - und wer auch von mir geliebt werden möchte, findet in diesem Text gewisse Hinweise, welche Art der Hotelbuchung zuverlässig Sorge trägt, mein bescheidenes Prinzenherz zu gewinnen. Es ist 3:30 Uhr.

Prinz Chaos II.

20. März 2014

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