Stets über alle Maßen verehrte Obertanen!
„Marktl“ heißt nach dem Geburtsort
unseres bayerischen Pontifex Emeritus der Regionalflieger der
Lufthansa, welcher mich durch eine einzige Turbulenz hindurch von
München nach Wien bringt. Dennoch erwarten mich hier keine gläubigen
Massen am Rollfeld. Auch keine ungläubigen Massen. Etwas indigniert,
verzichte ich im Gegenzug darauf, den Boden Österreichs bei Ankunft
zu küssen. Es ist 16:35 Uhr.
Meine Verstimmung hat allerdings kaum
Bestand, denn schon gewinnt die Vorfreude auf die nun folgende Szene
die Oberhand: am Ausgang des Terminals erwartet mich der Fahrservice
des ORF. Der Fahrer mit seinem Schild „Prinz Chaos II.“ begrüßt
mich freud- und ehrerbietig, nimmt mir behände das Gepäck ab …
ahm, oder vielmehr: es ist dann doch niemand da mit einem solchen
Schild.
Was tun? Ich habe keine Zeit. Und zwar:
rein überhaupt gar kein bisschen Zeit! Ich rufe meine Agentur an.
Die fragt beim ORF nach. Der kontaktiert den Fahrer. Schließlich
ruft jemand von oben „Herr Kirner?“ zu mir herunter. Es ist der
Fahrer. Die Aktion hat uns achtzehn Minuten gekostet.
Im weiteren Verlauf stellt sich heraus,
dass mich der Fahrer zuvor gegoogelt hat und zwar unter meinem
bürgerlichen Namen. Ein protokollarisches Desaster! Geheimrat
Nepperlik wird toben.
In der Folge verwechselt mich der Mann
am Steuer konsequent mit dem ebenfalls recht bekannten Trompeter
Florian Kirner und verwundert sich, dass ich mir auf dem Weg zum
Hotel noch rasch eine Gitarre abhole. Ich erkläre, generell nur auf
Saiteninstrumenten zu trompeten. Da ist es 17:26 Uhr.
Um 17:46 Uhr sind wir am Parkhotel
Schönbrunn angelangt und von da ab steigt meine Stimmung wirk- und
unabänderlich. Sabine, die Promoterin, empfängt mich. In der
Hotelbar wartet der Mann vom ORF Teletext. Klingt altmodisch, aber
der Teletext des ORF hat immer noch über eine Million Zugriffe
täglich. Am Tisch daneben wartet bereits der Redakteur von der
größten Schwulenzeitschrift Österreichs. Bis 18:06 Uhr stehe ich
dem Teletexter Rede und Antwort. Danach stellt Georg von der XTRA
einen riesigen Kassettenrekorder, mutmaßlich aus dem 19.
Jahrhundert, auf den Tisch, um unser Gespräch aufzuzeichnen. Er hat
auch seinen zwölfjährigen Hund dabei.
Um 18:36 Uhr bin ich mit Sabine auf dem
Zimmer und jetzt ist meine Stimmung blendend: der ORF hat eine
wunderschöne Suite für mich gebucht. Nicht, dass mir derlei
Äußerlichkeiten irgendwie wichtig wären. Sie sind essentiell für
mich.
Ich ziehe mich um, während Sabine und
ich kurz die Talkshow vorbesprechen. Baroness Lotte Tobisch ist mit
mir geladen: jahrelange Organisatorin des Opernballs, Schauspielerin,
Salondame, Adorno-Freundin. Dazu Erhard Busek: ehemaliger
Vizekanzler, ÖVP, neuerdings Fürsprecher der Partei der „Neos“.
Außerdem kommt der Krimi-Autor Bernhard Aicher, dessen neuer Roman
soeben auf Platz 2 der Bestsellerliste in den Handel gestartet ist.
Um 19:07 Uhr sitzen Sabine und ich im
Auto. Der Fahrservice bringt uns zum ORF-Zentrum. Und jetzt legt sich
auch die letzte Nervosität: unser aberwitzig knapper Zeitplan hat
tatsächlich funktioniert, alles klappt wie am Schnürchen.
Rechtzeitig sitze ich in der Maske. Kurz darauf treffe ich die junge,
sympathische Redaktion von Barbara Stöckl. Dann trifft der
Krimiautor ein, der Vizekanzler a.D. und schließlich die große
Tobisch. Ich gehe als erster hinüber ins Studio, um die Gitarre zu
stimmen, denn ich werde auch eine Minute Zeit haben, um mit „...dass
man sich wärmt, in der Nacht!“ die Sendung zu beschließen.
Im Studio begrüßt mich Barbara Stöckl
herzlich und sieht umwerfend aus. Ums Set herum wuseln grob
überschlagen zweitausend Menschen. Schon sitzen alle Diskutanten in
Position. Wir werden verkabelt, es ist jetzt 20:12 und die
Live-Aufzeichnung, die am Abend darauf unverändert ausgestrahlt
werden wird, beginnt.
Eine Stunde später hat sich alles
angefühlt wie drei Stunden. Meine Promo-Sabine hat alles von der
Regie aus überwacht und ist höchstzufrieden. Ich selber auch.
Stöckl ist halt auch nicht Lanz. Hier treten nicht ein paar Gestörte
zum moderierten Hahnenkampf an. Hier wird miteinander geredet
und ich muss direkt aufpassen, dass mich die 88jährige Lotte Tobisch
nicht an die Wand revoltiert, so wütend spricht sie über die
Politik der Gegenwart.
Eine in den Schlussminuten der Sendung
dann plötzlich drohende diplomatische Krise zwischen der Tobisch und
mir konnte ich unter Mithilfe des Krimi-Autors, Aufbietung alles zur
Verfügung stehenden Charmes und meines Liedes, das ich der Tobisch
unverdrossen zum Geburtstag widme, zur allgemeinen Erleichterung
beheben.
Die Stöckl-Redaktion ist begeistert
von der Sendung, der ursympathische Bernhard Aicher macht noch ein
Foto von Baroness Tobisch et moi. Der ehemalige Vizekanzler der ÖVP
und ich verzichten auf ein Foto und sind still
übereingekommen, dass wir mitunter Verschiedenes meinen, wenn wir
scheinbar Gleiches sagen. So hat alles seine Richtigkeit. Um 22:11
Uhr bin ich zurück in meiner Suite.
Dort hält es mich nicht sehr lange.
Ich breche auf zur Kettenbrückengasse, ins schwule Wien. Das wird
ein netter Ausflug mit ein paar erfreulichen Gesprächen mit netten
Leuten, die ich in der Mango Bar kennenlerne. Da ist Christoph, der
im Marketing arbeitet und jungen Leuten zweifelhafte Bankkonten
verscherbelt. Sein Kumpel produziert Musik, darunter auch Scores für
den ORF. Zwei mäßig sympathische Ukrainer spendieren immerhin zwei
Runden Wodka. Zwischendurch mache ich mit einem jungen Bolivianer
herum. Alex aus Birmingham studiert Germanistik in Wien und ist
wunderbar gescheit.
Irgendwann werden die beiden Jungs aus
der Ukraine etwas aufdringlich. Ich fordere lauthals ein Referendum!
Nach einem Aperol Sprizz und drei Radlerbieren steige ich dann aber
ins Taxi, ohne das Ergebnis der Befragung abzuwarten. Schließlich
möchte ich das Frühstück im Parkhotel Schönbrunn auf gar keinen
Fall verpennen.
Im recht festlichen Doppelbett meiner
Suite schreibe ich anschließend noch rasch diesen Text und eine
Notiz an mein Hofsekretariat. Ich darf nicht vergessen, bei Rückkehr
ein Dekret zu erlassen, dass das ORF im gesamten deutschen
Sendegebiet wieder frei zugänglich macht. Denn ich liebe diesen
Sender - und wer auch von mir geliebt werden möchte, findet in
diesem Text gewisse Hinweise, welche Art der Hotelbuchung zuverlässig
Sorge trägt, mein bescheidenes Prinzenherz zu gewinnen. Es ist 3:30
Uhr.
Prinz Chaos II.
20. März 2014
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