Mittwoch, 19. März 2014

Brief aus Wien (9) Ermahnung an die Stadt Wien, nicht zu werden, wie ich meiner Vaterstadt München ungerechterweise zu sein geworden unterstelle

Meistgeliebte Obertanen!
Der neuen Liebe mahnend die Sünden der verflossenen vorzuhalten, ist nun wahrlich eine Unartigkeit. „Mir san ned so weich wie die Wiener, mir san ned so laut wie am Rhein“ hatte mein Urgroßvater Theo Prosel die Münchner einst kulturgeografisch verortet. In Wien bin ich wie frischverliebt, Köln bleibt mir ewig geliebte Wahlheimat, und natürlich liebe ich mein altes München auch immer noch, sonst könnte mich die Entwicklung dieser Stadt ja nicht so derartig aufregen.
Wir machen München zur schnellsten Stadt Europas!“ lese ich auf einer dieser Infoscreens, die auch noch den nahverkehrenden Untergrund unserer Städte verpesten mit Television. Sicherlich geht es dabei um die Übertragungsgeschwindigkeit der Datenhighways, oder dergleichen Sinnvolles. Jedoch: man muss schon verzweifelt wenig von der Stadt an der Isar verstanden haben, um die wüste Drohung dieses Versprechens zu verkennen. München noch schneller? Na, aber bitte, danke: Nein!!
Es gab Zeiten, da prahlte ein gemütlichkeitstrunkenes München in die weite Welt hinaus, trotz seiner siebenstelligen Bewohnerschaft lebensgefühlt ein Dorf geblieben zu sein. Die Betriebsamkeit der Großstädte im Norden – der durchaus auch einmal im Westen liegen konnte! - empfand man dagegen als peinlich und der gehobenen Lebensqualität südlicher Gefilde unangemessen.
Ich aber rannte heute frühabends durch den Englischen Garten und war bald ganz verloren, weil ich keine Ecke zu finden vermochte, wo man den Autolärm des Mittleren Rings nicht dröhnen hörte. Ich weiß schon: im Sommer, wenn die Bäume ihr lärmschluckendes Blätterkleid angelegt haben, ist es viel besser. Aber ich bin grad heute hier, daheim in München, der Abend ist lau, und ich bin nach Stunden eines recht anstrengenden Meetings groggy, sehr verletzlich und außerdem nervös, weil ich morgen beim ORF in einer Talkshow sitze! Ich weiß nicht mehr, wo ich noch hinfliehen sollte vor dem Lärm einer Stadt, die einmal als Isar-Athen angelegt worden ist von den Wittelsbacher Königen.
Am Ende lande ich im bereits dunklen Nordfriedhof. Da ist es auch nicht wirklich leise, aber wenigstens sind hier die Menschen tot... Na, gut: wir wollen nicht ungerecht sein. Und bis hierhin bin ich wahrlich sehr ungerecht gegen meine Vaterstadt in diesem Text.
Habe ich nicht tags zuvor manches schöne Fleckerl München entdeckt? Das Denkmal für Orlando di Lasso ist aus unerfindlichen Gründen zu einer Michael-Jackson-Gedenkstätte mutiert. Der massigen Ahorn hat mich gefreut, im winzigen Hinterhof von Charlie und dem Brucker. Und das Palais Holnstein lauert trotz seines majestätsverräterischen Namensgebers sehr gelungen hinterm Salvatorplatz.
Und hatte diesmal nicht sogar die schwule Szene in der Müllerstraße brav hergehalten, als Kulisse für einen Exzess, der sich gewaschen und hinterher zu zwein in einem Bett geendigt hatte?
In der Tat: meine Vaterstadt ist freundlich gewesen zu mir in diesen Tagen. Und trotzdem kann ich mich nicht enthalten, meiner Entfremdung von München erneut öffentlichen Ausdruck zu verleihen – wenngleich ich dieses wissend ungerecht, aus rein pädagogischen Gründen und mit Blickrichtung auf meine neue Flamme Wien tue, was eine Unartigkeit darstellt, wie eingangs zugegeben.
Wien: erhalte Dir die Langsamkeit Deines Servicepersonals! Schirme gegen die Drohungen von C&A und H&M diesen ungarischen Schneider hinter der Mariahilferstraße, der mir drei Grappa einschenkt, während er zwanzig Minuten meine blaue Galauniform repariert! Wirf Dich in Harnisch, Wien, und wehre der Unart, bei jeder Gelegenheit ein Mobiltelefon zu zücken! Tue alles, die Mieten niedrig und Immobilienfonds fern zu halten! Führe eine Zulassungsbeschränkung ein für Porsche Cayennes und SUVs! Segen Deinen Straßenmusikern! Geduld Deinen Schwatzköpfen, die sich immerhin versuchen im Gespräch über das Wahre, Schöne und Gute! Mehre täglich die Zahl Deiner Kauze! Und vor allen Dingen, Wien: erhalte Dir die Weichheit Deiner Sprache!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen