Meistgeliebte Obertanen!
Der
neuen Liebe mahnend die Sünden der verflossenen vorzuhalten, ist nun
wahrlich eine Unartigkeit. „Mir san ned so weich wie die Wiener,
mir san ned so laut wie am Rhein“ hatte mein Urgroßvater Theo
Prosel die Münchner einst kulturgeografisch verortet. In Wien bin
ich wie frischverliebt, Köln bleibt mir ewig geliebte Wahlheimat,
und natürlich liebe ich mein altes München auch immer noch, sonst
könnte mich die Entwicklung dieser Stadt ja nicht so derartig
aufregen.
„Wir
machen München zur schnellsten Stadt Europas!“ lese ich auf einer
dieser Infoscreens, die auch noch den nahverkehrenden Untergrund
unserer Städte verpesten mit Television. Sicherlich geht es dabei um
die Übertragungsgeschwindigkeit der Datenhighways, oder dergleichen
Sinnvolles. Jedoch: man muss schon verzweifelt wenig von der Stadt an
der Isar verstanden haben, um die wüste Drohung dieses Versprechens
zu verkennen. München noch schneller? Na, aber bitte, danke: Nein!!
Es gab
Zeiten, da prahlte ein gemütlichkeitstrunkenes München in die weite
Welt hinaus, trotz seiner siebenstelligen Bewohnerschaft
lebensgefühlt ein Dorf geblieben zu sein. Die Betriebsamkeit der
Großstädte im Norden – der durchaus auch einmal im Westen liegen
konnte! - empfand man dagegen als peinlich und der gehobenen
Lebensqualität südlicher Gefilde unangemessen.
Ich aber
rannte heute frühabends durch den Englischen Garten und war bald
ganz verloren, weil ich keine Ecke zu finden vermochte, wo man den
Autolärm des Mittleren Rings nicht dröhnen hörte. Ich weiß schon:
im Sommer, wenn die Bäume ihr lärmschluckendes Blätterkleid
angelegt haben, ist es viel besser. Aber ich bin grad heute hier,
daheim in München, der Abend ist lau, und ich bin nach Stunden eines
recht anstrengenden Meetings groggy, sehr verletzlich und außerdem
nervös, weil ich morgen beim ORF in einer Talkshow sitze! Ich weiß
nicht mehr, wo ich noch hinfliehen sollte vor dem Lärm einer Stadt,
die einmal als Isar-Athen angelegt worden ist von den Wittelsbacher
Königen.
Am Ende
lande ich im bereits dunklen Nordfriedhof. Da ist es auch nicht
wirklich leise, aber wenigstens sind hier die Menschen tot... Na,
gut: wir wollen nicht ungerecht sein. Und bis hierhin bin ich
wahrlich sehr ungerecht gegen meine Vaterstadt in diesem Text.
Habe ich
nicht tags zuvor manches schöne Fleckerl München entdeckt? Das
Denkmal für Orlando di Lasso ist aus unerfindlichen Gründen zu
einer Michael-Jackson-Gedenkstätte mutiert. Der massigen Ahorn hat
mich gefreut, im winzigen Hinterhof von Charlie und dem Brucker. Und
das Palais Holnstein lauert trotz seines majestätsverräterischen
Namensgebers sehr gelungen hinterm Salvatorplatz.
Und
hatte diesmal nicht sogar die schwule Szene in der Müllerstraße
brav hergehalten, als Kulisse für einen Exzess, der sich gewaschen
und hinterher zu zwein in einem Bett geendigt hatte?
In der
Tat: meine Vaterstadt ist freundlich gewesen zu mir in diesen Tagen.
Und trotzdem kann ich mich nicht enthalten, meiner Entfremdung von
München erneut öffentlichen Ausdruck zu verleihen – wenngleich
ich dieses wissend ungerecht, aus rein pädagogischen Gründen und
mit Blickrichtung auf meine neue Flamme Wien tue, was eine
Unartigkeit darstellt, wie eingangs zugegeben.
Wien:
erhalte Dir die Langsamkeit Deines Servicepersonals! Schirme gegen
die Drohungen von C&A und H&M diesen ungarischen Schneider
hinter der Mariahilferstraße, der mir drei Grappa einschenkt,
während er zwanzig Minuten meine blaue Galauniform repariert! Wirf
Dich in Harnisch, Wien, und wehre der Unart, bei jeder Gelegenheit
ein Mobiltelefon zu zücken! Tue alles, die Mieten niedrig und
Immobilienfonds fern zu halten! Führe eine Zulassungsbeschränkung ein für Porsche Cayennes und SUVs! Segen Deinen Straßenmusikern! Geduld
Deinen Schwatzköpfen, die sich immerhin versuchen im Gespräch über
das Wahre, Schöne und Gute! Mehre
täglich die Zahl Deiner Kauze! Und vor allen Dingen, Wien: erhalte Dir die Weichheit Deiner Sprache!
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