Samstag, 1. März 2014

Brief aus Wien (8) Bericht vom Rosenball – Für einen neuen, schwulen Separatismus!

Unendlich verehrte Obertanen!
Wie mir Artur erzählt, ist der Rosenball den Protestaktionen gegen den Wiener Opernball in den 80er Jahren entsprungen. Zu deren spektakulärsten welchen gehörte eine Unterwanderung des Opernballpublikums dank eines finanzkräftigen schwulen Sponsors, der den Aktivisten die Eintrittskarten bezahlte. Als dann auf den oberen Rängen plötzlich Transparente entrollt wurden und wilder Lärm anhob, nutzte Abteilung 2 des Tuntenterrorkommandos die allgemeine Ablenkung, um auf dem Saalparkett Schmierseife zu verteilen. So oder so ähnlich hat es sich zugetragen...
Der Rosenball war dann die folgerichtige Maßnahme, zeitgleich mit dem Opernball eine radikale, queere Gegenveranstaltung zu etablieren. Die Idee ist gut: so rennt in einem Kontrast, bei dem unsereins naturgemäß nur glanzvoll siegen kann, zugleich mit den traditionsverstockten Opernballbesuchern gackerndes queeres Partyvolk durch Wien.
Speziell das Etablieren des Rosenballs hat augenscheinlich hervorragend geklappt. Zwanzig Jahre später ist er ein Wiener Ball-Highlight für sich und findet nicht mehr in abgeranzten Discokellern mit Darkroom statt, sondern im Palais Auersperg.
Zeitgleich ist der Opernball bis zur Protestunwürdigkeit herabgekommen. Vorbei die seligen Zeiten, als Franz Josef Strauß sich in der Loge mit Waffenhändlern und alten Nazis traf. Heute: Johannes B. Kerner und sonstige C-D-E-F-G Promis und zahlungskräftige Adabeis. Die Wiener Gesellschaft hält sich eher fern und trifft sich beim Philharmonikerball.
Das Palais Auersperg des Rosenballs nun also, fünf Gehminuten von Palais Riedl 1 gelegen, ist ein hübsch repräsentabler Bau, einst errichtet für die längst erloschene Sippe der Ranfranos. Er diente zwischenzeitlich Joseph von Sachsen-Hildburghausen als Winterresidenz. In den letzten Kriegstagen 1945 versammelten sich hier tatkräftige Bürger, um die kampflose Übergabe Wiens an die Sowjets zu managen, was dieser schönsten Kapitale Europas weitere Zerstörung ersparte.
Gestern versammelte sich im Palais Auersperg also die schwullesbische Welt zum … ach, Kinder! Ich wünschte mir, so wäre es gewesen. Jedoch schon in der Schlange am Einlaß gewahrte ich nicht nur elegantes queeres Volk aller Altersgruppen, sondern eine Heteroquote, die Ungutes befürchten ließ.
Schaun's: das Schöne an einer Subkultur ist, dass dort das ewig ins karge Unten abgedrückte Lieben der Anderen einmal ganz oben reitet, den Sturmwind in den bunten Haaren, den Rössern der Lebenslust die Sporen! Und wie Johannes Kram – boy, this guy knows how to throw a party! - bei seiner diesjährigen Geburtstagfeier feststellte: „Wir sind die Schwulen, und das bedeutet, dass wir es gerne komplett übertreiben.“
Und so kommt es, dass der durchschnittliche Hetero sich wohl kaum mehr kennt vor Begeisterung darüber, wie wild und schrill und ungezwungen es bei Lesbisch, Schwul und Co. im Auersperg zugegangen sei – während meinereins sich immer noch fragt, wann sich die Handbremse wohl lösen mag.
Um meine skeptische Beurteilung korrekt einzuordnen, sei berichtet, dass nicht nur die gefühlte Mehrheit heterosexueller Besucher mich belastete. Es dauerte auch eine lange Weile, bis ich meine rampanten Rückenschmerzen in den Griff bekam.
Irgendwann gelang das Schmerzmanagement dann doch, mit einem Cocktail aus Painkillern, eineinhalb Marihuanakeksen und einer halben Ecstacy bei fast gar keinem Alkoholkonsum. Bis dahin übte ich mich als trotzig würdige Balldame, fand mir eine rückenschonende Sitzposition auf einem Podest im Raucherbereich und thronte dort, gut sehend und noch besser gesehen werdend, bis mir der Einschlag der schmerztötendenden Kombination die Bewegungsfreiheit zurückgewann.
So hörte ich immerhin Jimmy Summerville, der knappe zwanzig Minuten auftrat. Kam mit dem Therapeuten Otto und seinem reizenden Freund ins Gespräch, mit Steffi und vielen anderen herzlichen Menschen, deren Namen mir nicht erinnerlich sind. Irgendwann gelang dann sogar der Zusammenschluß mit meinen arg unzuverlässigen Balladjutanten um meinen alten Schulfreund Enzio.
Endlich schmerzfrei öffnete sich mein Blick für die Schönheit dieser festlichen Hallen im Palais Auersperg, für gelungene Kostüme und fabelhafte Menschen. Sogar wagte ich mich bald ein wenig ans Flirten. Ich verwickle also diesen einsamen Schönen in ein Gespräch – da spritzt wie eine Gewittergäute seine mutmaßliche Freundin dazwischen, wirft sich förmlich in unser Gespräch, hastig und resolut, und verweist mich auf ihren Eigentumsanspruch an dem Beflirteten. „Du wirst zweimal fürchterlich träumen des Nachts, dann wird wieder alles gut sein, no worry!“ werfe ich ihr hin und sinniere über Strategien, die Heteroquote bei queeren Anlässen zuverlässig unter 40% abzusenken.
Artur, der fabelhaft aussieht und am Ende frohen Muts mit einem Jüngling abzieht, zuckt resignant die Schultern, denn dieses Problem kenne man auch vom Lifeball und anderen Anlässen des sexualdevianten Festkalenders. Irgendwann ist die Festivität so angesagt, dass auch die Heteros von Welt vermeinen, uns ihre Anwesenheit nicht ersparen zu dürfen. Damit beginnt wieder alles das von vorne, was wir beendet wissen wollten bei Gründung des Events: die grausige Körpersprache des heterosexuellen Mannes rempelt durch die eleganten Flure, die Armada diese Männer furios beschützender Matronen fährt ein, im späteren Verlauf halten uns die besoffenen Heteros dann mitten auf einem nominell queeren Ereignis lange Vorträge über ihre Toleranz und erklären schulterklopfend, dass sie „kein Problem mit uns“ haben - nicht ahnend, welche unerträglichen Probleme wir seit Stunden schon mit ihnen haben.
Ständig wird man so daran erinnert, wie richtig es ist, dass der Terminus „Homophobie“ eine neurotische Angststörung beschreibt.
Ereignisse wie der Rosenball bestärken mich in meiner Überzeugung, dass es einen queeren Separatismus dringend braucht und ewig brauchen wird – und darüberhinaus braucht es einen speziell schwulen Separatismus, denn der totale Verlust öffentlicher Erotik und Sexualität, der beim Rosenball ebenfalls eklatant auffiel, hat auch damit zu tun, dass die Radikalität schwuler Verruchtheit schon im queeren Kontext gnadenlos untergeht, nachdem es beispielsweise die wenigsten Lesben zu schätzen wissen, wenn sich schwule Männer in der Öffentlichkeit einer queeren Veranstaltung ungezwungen an die Wäsche gehen.
Gegen vier Uhr also kam ich zurück ins heimatliche Palais. Schmerzfrei und unbegleitet, denn weder Rückenschmerzen noch die dagegen eingesetzten Substanzen hatten meiner Libido sehr gut getan. Immerhin, ich war ein tapferes Mädchen gewesen, hatte mich wacker gehalten und trotz der Widrigkeiten durchgehend gut ausgesehen.

Prinz Chaos II.

28. Februar 2014

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