Unendlich verehrte Obertanen!
Wie mir
Artur erzählt, ist der Rosenball den Protestaktionen gegen den
Wiener Opernball in den 80er Jahren entsprungen. Zu deren
spektakulärsten welchen gehörte eine Unterwanderung des
Opernballpublikums dank eines finanzkräftigen schwulen Sponsors, der
den Aktivisten die Eintrittskarten bezahlte. Als dann auf den oberen
Rängen plötzlich Transparente entrollt wurden und wilder Lärm
anhob, nutzte Abteilung 2 des Tuntenterrorkommandos die allgemeine
Ablenkung, um auf dem Saalparkett Schmierseife zu verteilen. So oder
so ähnlich hat es sich zugetragen...
Der
Rosenball war dann die folgerichtige Maßnahme, zeitgleich mit dem
Opernball eine radikale, queere Gegenveranstaltung zu etablieren. Die
Idee ist gut: so rennt in einem Kontrast, bei dem unsereins
naturgemäß nur glanzvoll siegen kann, zugleich mit den
traditionsverstockten Opernballbesuchern gackerndes queeres Partyvolk
durch Wien.
Speziell
das Etablieren des Rosenballs hat augenscheinlich hervorragend
geklappt. Zwanzig Jahre später ist er ein Wiener Ball-Highlight für
sich und findet nicht mehr in abgeranzten Discokellern mit Darkroom
statt, sondern im Palais Auersperg.
Zeitgleich
ist der Opernball bis zur Protestunwürdigkeit herabgekommen. Vorbei
die seligen Zeiten, als Franz Josef Strauß sich in der Loge mit
Waffenhändlern und alten Nazis traf. Heute: Johannes B. Kerner und
sonstige C-D-E-F-G Promis und zahlungskräftige Adabeis. Die Wiener
Gesellschaft hält sich eher fern und trifft sich beim
Philharmonikerball.
Das
Palais Auersperg des Rosenballs nun also, fünf Gehminuten von Palais
Riedl 1 gelegen, ist ein hübsch repräsentabler Bau, einst errichtet
für die längst erloschene Sippe der Ranfranos. Er diente
zwischenzeitlich Joseph von Sachsen-Hildburghausen als
Winterresidenz. In den letzten Kriegstagen 1945 versammelten sich
hier tatkräftige Bürger, um die kampflose Übergabe Wiens an die
Sowjets zu managen, was dieser schönsten Kapitale Europas weitere
Zerstörung ersparte.
Gestern
versammelte sich im Palais Auersperg also die schwullesbische Welt
zum … ach, Kinder! Ich wünschte mir, so wäre es gewesen. Jedoch
schon in der Schlange am Einlaß gewahrte ich nicht nur elegantes
queeres Volk aller Altersgruppen, sondern eine Heteroquote, die
Ungutes befürchten ließ.
Schaun's:
das Schöne an einer Subkultur ist, dass dort das ewig ins karge
Unten abgedrückte Lieben der Anderen einmal ganz oben reitet, den
Sturmwind in den bunten Haaren, den Rössern der Lebenslust die
Sporen! Und wie Johannes Kram – boy, this guy knows how to throw a
party! - bei seiner diesjährigen Geburtstagfeier feststellte: „Wir
sind die Schwulen, und das bedeutet, dass wir es gerne komplett
übertreiben.“
Und so
kommt es, dass der durchschnittliche Hetero sich wohl kaum mehr kennt
vor Begeisterung darüber, wie wild und schrill und ungezwungen es
bei Lesbisch, Schwul und Co. im Auersperg zugegangen sei – während
meinereins sich immer noch fragt, wann sich die Handbremse wohl lösen
mag.
Um meine
skeptische Beurteilung korrekt einzuordnen, sei berichtet, dass nicht
nur die gefühlte Mehrheit heterosexueller Besucher mich belastete.
Es dauerte auch eine lange Weile, bis ich meine rampanten
Rückenschmerzen in den Griff bekam.
Irgendwann
gelang das Schmerzmanagement dann doch, mit einem Cocktail aus
Painkillern, eineinhalb Marihuanakeksen und einer halben Ecstacy bei
fast gar keinem Alkoholkonsum. Bis dahin übte ich mich als trotzig
würdige Balldame, fand mir eine rückenschonende Sitzposition auf
einem Podest im Raucherbereich und thronte dort, gut sehend und noch
besser gesehen werdend, bis mir der Einschlag der schmerztötendenden
Kombination die Bewegungsfreiheit zurückgewann.
So hörte
ich immerhin Jimmy Summerville, der knappe zwanzig Minuten auftrat.
Kam mit dem Therapeuten Otto und seinem reizenden Freund ins
Gespräch, mit Steffi und vielen anderen herzlichen Menschen, deren
Namen mir nicht erinnerlich sind. Irgendwann gelang dann sogar der
Zusammenschluß mit meinen arg unzuverlässigen Balladjutanten um
meinen alten Schulfreund Enzio.
Endlich
schmerzfrei öffnete sich mein Blick für die Schönheit dieser
festlichen Hallen im Palais Auersperg, für gelungene Kostüme und
fabelhafte Menschen. Sogar wagte ich mich bald ein wenig ans Flirten.
Ich verwickle also diesen einsamen Schönen in ein Gespräch – da
spritzt wie eine Gewittergäute seine mutmaßliche Freundin
dazwischen, wirft sich förmlich in unser Gespräch, hastig und
resolut, und verweist mich auf ihren Eigentumsanspruch an dem
Beflirteten. „Du wirst zweimal fürchterlich träumen des Nachts,
dann wird wieder alles gut sein, no worry!“ werfe ich ihr hin und
sinniere über Strategien, die Heteroquote bei queeren Anlässen
zuverlässig unter 40% abzusenken.
Artur,
der fabelhaft aussieht und am Ende frohen Muts mit einem Jüngling
abzieht, zuckt resignant die Schultern, denn dieses Problem kenne man
auch vom Lifeball und anderen Anlässen des sexualdevianten
Festkalenders. Irgendwann ist die Festivität so angesagt, dass auch
die Heteros von Welt vermeinen, uns ihre Anwesenheit nicht ersparen
zu dürfen. Damit beginnt wieder alles das von vorne, was wir beendet
wissen wollten bei Gründung des Events: die grausige Körpersprache
des heterosexuellen Mannes rempelt durch die eleganten Flure, die
Armada diese Männer furios beschützender Matronen fährt ein, im
späteren Verlauf halten uns die besoffenen Heteros dann mitten auf
einem nominell queeren Ereignis lange Vorträge über ihre Toleranz
und erklären schulterklopfend, dass sie „kein Problem mit uns“
haben - nicht ahnend, welche unerträglichen Probleme wir seit
Stunden schon mit ihnen haben.
Ständig
wird man so daran erinnert, wie richtig es ist, dass der Terminus
„Homophobie“ eine neurotische Angststörung beschreibt.
Ereignisse
wie der Rosenball bestärken mich in meiner Überzeugung, dass es
einen queeren Separatismus dringend braucht und ewig brauchen wird –
und darüberhinaus braucht es einen speziell schwulen Separatismus,
denn der totale Verlust öffentlicher Erotik und Sexualität, der
beim Rosenball ebenfalls eklatant auffiel, hat auch damit zu tun,
dass die Radikalität schwuler Verruchtheit schon im queeren Kontext
gnadenlos untergeht, nachdem es beispielsweise die wenigsten Lesben
zu schätzen wissen, wenn sich schwule Männer in der Öffentlichkeit
einer queeren Veranstaltung ungezwungen an die Wäsche gehen.
Gegen
vier Uhr also kam ich zurück ins heimatliche Palais. Schmerzfrei und
unbegleitet, denn weder Rückenschmerzen noch die dagegen
eingesetzten Substanzen hatten meiner Libido sehr gut getan.
Immerhin, ich war ein tapferes Mädchen gewesen, hatte mich wacker
gehalten und trotz der Widrigkeiten durchgehend gut ausgesehen.
Prinz
Chaos II.
28.
Februar 2014
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