Dienstag, 24. Juni 2014

Brief aus Wien (17) Mostviertelblues

Brief aus Wien (17) Mostviertelblues

King Arthur ist ein äußerst erfahrener Partyscout. Ich folge seinen Einladungen blind. Für heute hat er eine technoide Sonnwendparty im Angebot, irgendwo in der Umgebung Wiens auf einem Berg. Das klingt mir annehmlich, denn mir brummt noch der Schädel von den Turbulenzen Piefkenesiens, die Natur um Wien interessiert mich und die Berge sind nah. Wenn man von Palais Riedl 1 kommend die Florianigasse entlangläuft, kann man die Albertgasse hinunter schon die ersten bewaldeten Hügel sehen...
Mister Jason Gocque schellt an der Windmühlgassenklingel, um uns abzuholen. Wir steigen in einen Jaguar, Baujahr 1991, dessen ehrwürdige Eleganz etwas kontrastiert mit der Kleinheit des Fahrzeuginnenraums. Auf dem Rücksitz kauernd, stoße ich ständig mit dem Schädel an der Decke an. Arthur fährt bei.
Nach einer Stunde Fahrt sind wir mitten im Bergwald. Wir nehmen einen ruckbesackten Wanderer mit, der erkennbar dasselbe Ziel hat wie wir. Er stellt sich heraus als Finn, ein Traveller aus dem Ruhrgebiet, der seit mehr als einem Jahr über Biohöfe, Bergalmen und alternative Wohnprojekte in ganz Europa woovt – also, für Kost und Logie dort lebt und arbeitet. Finn hat Glück, dass wir ihn mitnehmen. Denn auf den geschlungenen Bergpfad, auf dem wir uns jetzt heillos verfahren, hätte er sich ansonsten heillos verlaufen. So geht es schneller und endlich finden wir den richtigen Einstieg in den richtigen Berg und erreichen das Ziel.
Leider. Das Ziel entpuppt sich als eine bessere Privatparty auf einer Bergwiese, deren Lage nicht zu einer allzu beeindruckenden Aussicht, wohl aber dazu reicht, dauernd von einem strengen Wind bestrichen zu werden. Dazu hat es kurz vor unserer Ankunft geregnet und gehagelt, jetzt regnet es nur noch und meine Schuhe sind nicht wasserdicht.
Wir tun für die Stimmung, was getan werden kann. Etwa tun wir uns gütlich an einem selbstgebrannten Aprikosenabsinth (!), den der Mensch vom Essenszelt dabei hat. Der leiht mir auch zwei Decken, die ich dringend brauche, denn ich kühle aus und beginne bald so haltlos zu zittern, dass sich selbst der grundspöttische Arthur ernstlich um mich sorgt.
Später brennt ein Feuer, und als wir die anwesende Dorfjugend erfolgreich animieren, die herumstehenden Holzpaletten den Flammen zu übereignen, wird es mir endlich richtig warm. Ein Mädchen namens Dolores erzählt mir von ihrem Leben. Sie hat ein Urban Gardening Projekt in einem Wiener Gemeindebau gestartet. Diese Gemeindebauten sind das große wohnungspolitische Erbe des „Roten Wiens“, und ihr Bau verfügt alleine über 17 Stiegen (– 17 Treppenhäuser sind das, Piefke!) Im Hof hat die schmerzensreiche Dolores Hoch- und Tiefbeete angelegt und eine Sitzgruppe gebaut. Und dieser Kommunikationsknotenpunkt steht für sie auf der Linie der großen, globalen Rebellion, als deren Teil sie sich sieht.
Ich bin trotz dieser netten Bekanntschaft genervt - vom Wetter, vom Wind, von meinen patschnassen Socken - und vom DJ.
Der DJ ist nicht nur grottenschlecht, sondern hält es auch für unbeschreiblich cool, ununterbrochen in die Musik zu labern und seine Stimme dabei mit Echo-Effekten zu belegen. Er spielt „One Love“ von Bob Marley mit Technobeats, und es ist direkt eine Erleichterung, als er ankündigt, den Sound nunmehr abdrehen zu müssen, … der bösen Nachbarn wegen.
Nachbarn? Die müssen mehr als zwei Kilometer entfernt wohnen, ich sehe hier weit und breit keine Nachbarn. Aber Österreich ist eben geschlagen mit seinen Spießern mit absolutem Gehör.
Endlich schreitet Mister Jason Gocque heran und beherzt ein und verkündet: dass wir jetzt die Heimreise antreten! Das wurde vor Stunden schon einmal behauptet. Diesmal scheint es zu stimmen. Arthur ist bereits im Aufbruchsmodus und mir, der ich befürchtet hatte, die Nacht auf diesem vermaledeiten Berg verbringen zu müssen, ist es, als käme ein Helikopter der Bergwacht angeflogen, um uns vor dem sicheren Tod zu retten.
Der Helikopter ist dann der Jaguar von Mister Gocque. Bei dessen Start spielt sich eine filmreife Szene ab. Alle stehen um den Wagen herum und keiner hat den Schlüssel. Oh, ich habe ihn in der Hosentasche, wie sich herausstellt, verrichte aber soeben meine Notdurft im Gebüsch. Mister Jason Gocque ruft mir zu, ich solle das Auto per Fernbedienung öffnen und zwar „einfach irgendeinen Knopf drücken“. Als ich das tue, geht der Autoalarm des Jaguaren los! Ich drücke erneut, der Alarm geht aus – und sofort wieder an, in veränderter Tonlage! Ich werfe den Schlüssel dem PKW-Halter zu: der drückt und löst wiederum einen ganz anders klingenden Alarmton aus. So geht das eine Zeit. Rundherum, der Jaguar tobt, bricht auf dem Parkplatz infernalisches Gelächter los, und wir kichern selbst noch kilometerweit, als wir das Gefährt endlich zur Ruhe gebracht und in Bewegung gesetzt haben.
Diesmal kommt mir das Mobil des Herrn Jason Gocque trotzdem gar nicht mehr unpraktisch vor, sondern komfortabel wie die Wiege der Götter. König Arthur fährt mit sensationeller Weichheit und Eleganz durch die kurvenreichen Straßen. Der Motor ist kaum hörbar, und die legendäre Federung alter Jaguare macht, dass mir ist, als würden wir schweben – was auch an diesem Aprikosenabsinth liegen mag oder an der Heizung des Wagens, die jetzt ihre Dienste tut und mir die nasskalten Füße wärmt.
Soviel zum Mostviertel.
Wien bleibt Wien.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen