Das Attentaterl
„-chen und -lein machen alle Dinge
klein.“ Auf diesen Satz wollte Frau Ponath, unsere
Grundschullehrerin, hinaus. Wir rätselten herum. „Ein normal
großer Vogel ist ein Vogel. Einen kleinen Vogel nennt man...?“
versuchte sie erneut, uns auf die Sprünge zu helfen. Sichtlich
verzweifelt schon, denn an dem Tag war ein Herr von der Schulaufsicht
da, um den Unterricht der Frau Ponath zu bewerten. Unsere Klasse war
wohl angesteckt von ihrer Nervosität. Wir kamen partout nicht drauf,
wo sie hinaus wollte. Das Diminutiv – vulgo: die Verkleinerungsform! -
geht aber ja auf Austrobayerisch eh ganz anders. Ein kleiner Vogel
heisst bei uns: Vogerl – und nicht Vögelchen oder Vöglein.
Ich wurde in Wien Opfer eines …
Attentaterls.
Ich wartete vor dem Sendestudio von
Radio Orange, in der Klosterneuburger Strasse, direkt hinter der
Friedensbrücke. Die Sendung, in die ich geladen war, heisst „Wake
up“ - und am Tag nach dem Mostvierteldesaster war das Aufwachen
genau mein Problem. Eine Stunde live im Radio mit Restkater ist
schließlich nicht ohne.
Ich war früh dran, der Moderator war
noch nicht da. Auf der verzweifelten Suche nach einem Kaffee setzte
ich mich an einen Tisch vor einem serbischen Straßenbistro. Man
ignorierte mich beharrlich. Ich wechselte an einen Tisch vor einem
türkischen Café. Man ignorierte mich erneut und die Zeit rückte
vor und ich war immer noch unkaffeiniert.
Da kommt ein Mann um die 50 daher und
spricht mich direkt als Prinz Chaos an. Das wundert mich ein wenig,
denn zusätzlich zu meinen frisch gefärbten Haaren trage ich eine
Mütze und eine Sonnenbrille. Es sollte an sich so einfach nicht
sein, mich zu erkennen. Pfeifendeckel!
Der Mensch labert auch sofort los und
zwar ist das eine ungute Mischung aus seiner Lebensgeschichte, wirren
Thesen zur Weltpolitik und vermeintlichen ORF-Internas. Ich hake
gleich ein und sage: „Du, wart amal: ich hab ein ganz anderes
Problem: ich brauch einen Kaffee, dringend!“ Der Mensch weiß ein
Café und einen Bäcker um die Ecke. Wir gehen hin.
Für einen doppelten Kaffee, der mir
eher vorkommt wie ein halber, bezahle ich acht Euro! Acht Euro?!! Ich
kann noch immer nicht glauben, dass ich das ohne Murren bezahlt habe.
Aber ich war eben konditionell angeschlagen. Außerdem wurde ich von
dem andern Menschen in Permanenz belabert.
Der Mensch zog dann auch noch diverse
Blätter aus einer Plastikmappe: selbstverfasste,
schreibmaschinengeschriebene Texte mit zahlreichen handschriftlichen
Anmerkungen und einer Masse von Ausrufezeichen, Unterstreichungen,
Großschreibungen und schrecklichen Kraftausdrücken.
Wie sich herausstellt, geht es um das,
was der Mensch „Das ESC-Komplott“ nennt. Seine Schriften richten
sich an die Moderatorin Barbara Stöckl und diverse Größen des ORF
und der österreichischen Medienlandschaft. Der Sieg von Conchita
Wurst beim Eurovision Songcontest ist demnach Ergebnis
einer ungeheuerlichen, weltweiten Verschwörung der „NWO“ (=
„Neue Weltordnung“) zur „Verschwulung der Menschheit“ –
und diese Verschwörung richtet sich letztlich auch noch ganz
genau und zielgerichtet gegen ihn, gegen ihn selbst, diesen von der
ganzen Welt verfolgten Menschen um die 50.
Ob mir der aufgelauert hat vor dem
Sender? Oder ist das ein Zufall? Er scheint in dem Viertel zu wohnen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass er mein Kommen in diese
Frühstückssendung der Ankündigung des Senders entnommen hat.
Die Sendung beginnt in zehn Minuten.
Ich reiße mich endlich los von diesem Menschen, der mir aber noch
seine selbstverfassten Schriften aufnötigt.
Kurzum: ich absolviere die Sendung,
meine Promo-Dame ist begeistert, der Moderator auch. Alles gut.
Nachdem ich aber die Texte des Menschen über das
Conchita-NWO-Komplott erneut in die Hand nehme, die ich als Artefakte
des homophoben Irrsinns auszuwerten gedenke, bemerke ich plötzlich
einen gigantischen Tintenfleck an meiner Hand.
Kreizkruzifix!!
Hat dieser unglückselige Mensch diese
Blätter geronnenen Wirrsinns hektografiert oder mit einer
Gutenbergpresse vervielfältigt oder mit Kartoffelstempeln?!
Ich reinige umständlich meine Hand,
als ich bemerke, dass mein cremefarbenes Sacko einen Tintenfleck
abgekommen hat. Ich könnte ausrasten!! Ich liebe dieses Sacko und es
ist von meinem Vater und es kann doch nicht sein, dass mir
irgendwelche Typen ungefragt ihren Geistesmüll aufdrängen, der am
Ende dann noch zu erheblichen Schäden an Mensch und Mode führt!!!!!
Wütend denke ich an dieses
Meditationsseminar der Osho-Leute zurück, an dem ich in Indien
teilgenommen habe. Damals hat man mir meine PORSCHE-SONNENBRILLE
geklaut! Man beklaut doch keine MEDITIERENDEN Menschen und schon gar
nicht klaut man deren Porsche-Sonnenbrillen, was für eine
ausgesuchte Gemeinheit!!!! EINE GEMEINHEIT, DIE SICH GEGEN MICH
RICHTET, GEGEN MICH!! MICH!!!! MICH!!!!!
Meister Riedl, als ich ihm wiederum mit
unzähligen verbalen Ausrufezeichen, Kraftausdrücken und
Großschreibungen von diesem schier unerhörten Vorgang berichte, von
jenem grauenvollen Attentat, dessen Opfer ich geworden sei und das
man offensichtlich von langer Hand vorbereitet habe, … als ich mich also
minutenlang theatralisch echauffiere und mein Unglück beklage und
meinem ehemals cremefarbenen Sacko nachtrauere und über blutige mittelalterliche Strafen für den Attentäterich fantasiere, …. da
meint der Riedl nur lapidar:
“Ijöö, früher, wie Dich keiner
gekannt hat, ist Dir's auch nicht recht gewesen.“
Überhaupt, sei das gar kein Attentat
gewesen, sondern allerbestenfalls nur:
ein Attentaterl.
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