Stets demütig verehrte Obertanen!
Wir freuen uns ausführlich über dieses Interview auf www.queer.de - dem unbestrittenen Flaggschiff der queeren Internetpräsenz. Wir hoffen, Ihr habt Spaß beim lesen.
Interview: Prinz Chaos II. und seine Hymne auf den passiven Analverkehr
Botschaften seiner
Königlich-Chaotischen Provokanz,
des Schlossherrn zu Weitersroda,
an seine Obertanen.
Donnerstag, 26. Juni 2014
Dienstag, 24. Juni 2014
Brief aus Wien (18) Das Attentaterl
Das Attentaterl
„-chen und -lein machen alle Dinge
klein.“ Auf diesen Satz wollte Frau Ponath, unsere
Grundschullehrerin, hinaus. Wir rätselten herum. „Ein normal
großer Vogel ist ein Vogel. Einen kleinen Vogel nennt man...?“
versuchte sie erneut, uns auf die Sprünge zu helfen. Sichtlich
verzweifelt schon, denn an dem Tag war ein Herr von der Schulaufsicht
da, um den Unterricht der Frau Ponath zu bewerten. Unsere Klasse war
wohl angesteckt von ihrer Nervosität. Wir kamen partout nicht drauf,
wo sie hinaus wollte. Das Diminutiv – vulgo: die Verkleinerungsform! -
geht aber ja auf Austrobayerisch eh ganz anders. Ein kleiner Vogel
heisst bei uns: Vogerl – und nicht Vögelchen oder Vöglein.
Ich wurde in Wien Opfer eines …
Attentaterls.
Ich wartete vor dem Sendestudio von
Radio Orange, in der Klosterneuburger Strasse, direkt hinter der
Friedensbrücke. Die Sendung, in die ich geladen war, heisst „Wake
up“ - und am Tag nach dem Mostvierteldesaster war das Aufwachen
genau mein Problem. Eine Stunde live im Radio mit Restkater ist
schließlich nicht ohne.
Ich war früh dran, der Moderator war
noch nicht da. Auf der verzweifelten Suche nach einem Kaffee setzte
ich mich an einen Tisch vor einem serbischen Straßenbistro. Man
ignorierte mich beharrlich. Ich wechselte an einen Tisch vor einem
türkischen Café. Man ignorierte mich erneut und die Zeit rückte
vor und ich war immer noch unkaffeiniert.
Da kommt ein Mann um die 50 daher und
spricht mich direkt als Prinz Chaos an. Das wundert mich ein wenig,
denn zusätzlich zu meinen frisch gefärbten Haaren trage ich eine
Mütze und eine Sonnenbrille. Es sollte an sich so einfach nicht
sein, mich zu erkennen. Pfeifendeckel!
Der Mensch labert auch sofort los und
zwar ist das eine ungute Mischung aus seiner Lebensgeschichte, wirren
Thesen zur Weltpolitik und vermeintlichen ORF-Internas. Ich hake
gleich ein und sage: „Du, wart amal: ich hab ein ganz anderes
Problem: ich brauch einen Kaffee, dringend!“ Der Mensch weiß ein
Café und einen Bäcker um die Ecke. Wir gehen hin.
Für einen doppelten Kaffee, der mir
eher vorkommt wie ein halber, bezahle ich acht Euro! Acht Euro?!! Ich
kann noch immer nicht glauben, dass ich das ohne Murren bezahlt habe.
Aber ich war eben konditionell angeschlagen. Außerdem wurde ich von
dem andern Menschen in Permanenz belabert.
Der Mensch zog dann auch noch diverse
Blätter aus einer Plastikmappe: selbstverfasste,
schreibmaschinengeschriebene Texte mit zahlreichen handschriftlichen
Anmerkungen und einer Masse von Ausrufezeichen, Unterstreichungen,
Großschreibungen und schrecklichen Kraftausdrücken.
Wie sich herausstellt, geht es um das,
was der Mensch „Das ESC-Komplott“ nennt. Seine Schriften richten
sich an die Moderatorin Barbara Stöckl und diverse Größen des ORF
und der österreichischen Medienlandschaft. Der Sieg von Conchita
Wurst beim Eurovision Songcontest ist demnach Ergebnis
einer ungeheuerlichen, weltweiten Verschwörung der „NWO“ (=
„Neue Weltordnung“) zur „Verschwulung der Menschheit“ –
und diese Verschwörung richtet sich letztlich auch noch ganz
genau und zielgerichtet gegen ihn, gegen ihn selbst, diesen von der
ganzen Welt verfolgten Menschen um die 50.
Ob mir der aufgelauert hat vor dem
Sender? Oder ist das ein Zufall? Er scheint in dem Viertel zu wohnen.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass er mein Kommen in diese
Frühstückssendung der Ankündigung des Senders entnommen hat.
Die Sendung beginnt in zehn Minuten.
Ich reiße mich endlich los von diesem Menschen, der mir aber noch
seine selbstverfassten Schriften aufnötigt.
Kurzum: ich absolviere die Sendung,
meine Promo-Dame ist begeistert, der Moderator auch. Alles gut.
Nachdem ich aber die Texte des Menschen über das
Conchita-NWO-Komplott erneut in die Hand nehme, die ich als Artefakte
des homophoben Irrsinns auszuwerten gedenke, bemerke ich plötzlich
einen gigantischen Tintenfleck an meiner Hand.
Kreizkruzifix!!
Hat dieser unglückselige Mensch diese
Blätter geronnenen Wirrsinns hektografiert oder mit einer
Gutenbergpresse vervielfältigt oder mit Kartoffelstempeln?!
Ich reinige umständlich meine Hand,
als ich bemerke, dass mein cremefarbenes Sacko einen Tintenfleck
abgekommen hat. Ich könnte ausrasten!! Ich liebe dieses Sacko und es
ist von meinem Vater und es kann doch nicht sein, dass mir
irgendwelche Typen ungefragt ihren Geistesmüll aufdrängen, der am
Ende dann noch zu erheblichen Schäden an Mensch und Mode führt!!!!!
Wütend denke ich an dieses
Meditationsseminar der Osho-Leute zurück, an dem ich in Indien
teilgenommen habe. Damals hat man mir meine PORSCHE-SONNENBRILLE
geklaut! Man beklaut doch keine MEDITIERENDEN Menschen und schon gar
nicht klaut man deren Porsche-Sonnenbrillen, was für eine
ausgesuchte Gemeinheit!!!! EINE GEMEINHEIT, DIE SICH GEGEN MICH
RICHTET, GEGEN MICH!! MICH!!!! MICH!!!!!
Meister Riedl, als ich ihm wiederum mit
unzähligen verbalen Ausrufezeichen, Kraftausdrücken und
Großschreibungen von diesem schier unerhörten Vorgang berichte, von
jenem grauenvollen Attentat, dessen Opfer ich geworden sei und das
man offensichtlich von langer Hand vorbereitet habe, … als ich mich also
minutenlang theatralisch echauffiere und mein Unglück beklage und
meinem ehemals cremefarbenen Sacko nachtrauere und über blutige mittelalterliche Strafen für den Attentäterich fantasiere, …. da
meint der Riedl nur lapidar:
“Ijöö, früher, wie Dich keiner
gekannt hat, ist Dir's auch nicht recht gewesen.“
Überhaupt, sei das gar kein Attentat
gewesen, sondern allerbestenfalls nur:
ein Attentaterl.
Brief aus Wien (17) Mostviertelblues
Brief aus Wien (17) Mostviertelblues
King Arthur ist ein äußerst erfahrener Partyscout. Ich folge seinen Einladungen blind. Für heute hat er eine technoide Sonnwendparty im Angebot, irgendwo in der Umgebung Wiens auf einem Berg. Das klingt mir annehmlich, denn mir brummt noch der Schädel von den Turbulenzen Piefkenesiens, die Natur um Wien interessiert mich und die Berge sind nah. Wenn man von Palais Riedl 1 kommend die Florianigasse entlangläuft, kann man die Albertgasse hinunter schon die ersten bewaldeten Hügel sehen...
Mister Jason Gocque schellt an der Windmühlgassenklingel, um uns abzuholen. Wir steigen in einen Jaguar, Baujahr 1991, dessen ehrwürdige Eleganz etwas kontrastiert mit der Kleinheit des Fahrzeuginnenraums. Auf dem Rücksitz kauernd, stoße ich ständig mit dem Schädel an der Decke an. Arthur fährt bei.
Nach einer Stunde Fahrt sind wir mitten im Bergwald. Wir nehmen einen ruckbesackten Wanderer mit, der erkennbar dasselbe Ziel hat wie wir. Er stellt sich heraus als Finn, ein Traveller aus dem Ruhrgebiet, der seit mehr als einem Jahr über Biohöfe, Bergalmen und alternative Wohnprojekte in ganz Europa woovt – also, für Kost und Logie dort lebt und arbeitet. Finn hat Glück, dass wir ihn mitnehmen. Denn auf den geschlungenen Bergpfad, auf dem wir uns jetzt heillos verfahren, hätte er sich ansonsten heillos verlaufen. So geht es schneller und endlich finden wir den richtigen Einstieg in den richtigen Berg und erreichen das Ziel.
Leider. Das Ziel entpuppt sich als eine bessere Privatparty auf einer Bergwiese, deren Lage nicht zu einer allzu beeindruckenden Aussicht, wohl aber dazu reicht, dauernd von einem strengen Wind bestrichen zu werden. Dazu hat es kurz vor unserer Ankunft geregnet und gehagelt, jetzt regnet es nur noch und meine Schuhe sind nicht wasserdicht.
Wir tun für die Stimmung, was getan werden kann. Etwa tun wir uns gütlich an einem selbstgebrannten Aprikosenabsinth (!), den der Mensch vom Essenszelt dabei hat. Der leiht mir auch zwei Decken, die ich dringend brauche, denn ich kühle aus und beginne bald so haltlos zu zittern, dass sich selbst der grundspöttische Arthur ernstlich um mich sorgt.
Später brennt ein Feuer, und als wir die anwesende Dorfjugend erfolgreich animieren, die herumstehenden Holzpaletten den Flammen zu übereignen, wird es mir endlich richtig warm. Ein Mädchen namens Dolores erzählt mir von ihrem Leben. Sie hat ein Urban Gardening Projekt in einem Wiener Gemeindebau gestartet. Diese Gemeindebauten sind das große wohnungspolitische Erbe des „Roten Wiens“, und ihr Bau verfügt alleine über 17 Stiegen (– 17 Treppenhäuser sind das, Piefke!) Im Hof hat die schmerzensreiche Dolores Hoch- und Tiefbeete angelegt und eine Sitzgruppe gebaut. Und dieser Kommunikationsknotenpunkt steht für sie auf der Linie der großen, globalen Rebellion, als deren Teil sie sich sieht.
Ich bin trotz dieser netten Bekanntschaft genervt - vom Wetter, vom Wind, von meinen patschnassen Socken - und vom DJ.
Der DJ ist nicht nur grottenschlecht, sondern hält es auch für unbeschreiblich cool, ununterbrochen in die Musik zu labern und seine Stimme dabei mit Echo-Effekten zu belegen. Er spielt „One Love“ von Bob Marley mit Technobeats, und es ist direkt eine Erleichterung, als er ankündigt, den Sound nunmehr abdrehen zu müssen, … der bösen Nachbarn wegen.
Nachbarn? Die müssen mehr als zwei Kilometer entfernt wohnen, ich sehe hier weit und breit keine Nachbarn. Aber Österreich ist eben geschlagen mit seinen Spießern mit absolutem Gehör.
Endlich schreitet Mister Jason Gocque heran und beherzt ein und verkündet: dass wir jetzt die Heimreise antreten! Das wurde vor Stunden schon einmal behauptet. Diesmal scheint es zu stimmen. Arthur ist bereits im Aufbruchsmodus und mir, der ich befürchtet hatte, die Nacht auf diesem vermaledeiten Berg verbringen zu müssen, ist es, als käme ein Helikopter der Bergwacht angeflogen, um uns vor dem sicheren Tod zu retten.
Der Helikopter ist dann der Jaguar von Mister Gocque. Bei dessen Start spielt sich eine filmreife Szene ab. Alle stehen um den Wagen herum und keiner hat den Schlüssel. Oh, ich habe ihn in der Hosentasche, wie sich herausstellt, verrichte aber soeben meine Notdurft im Gebüsch. Mister Jason Gocque ruft mir zu, ich solle das Auto per Fernbedienung öffnen und zwar „einfach irgendeinen Knopf drücken“. Als ich das tue, geht der Autoalarm des Jaguaren los! Ich drücke erneut, der Alarm geht aus – und sofort wieder an, in veränderter Tonlage! Ich werfe den Schlüssel dem PKW-Halter zu: der drückt und löst wiederum einen ganz anders klingenden Alarmton aus. So geht das eine Zeit. Rundherum, der Jaguar tobt, bricht auf dem Parkplatz infernalisches Gelächter los, und wir kichern selbst noch kilometerweit, als wir das Gefährt endlich zur Ruhe gebracht und in Bewegung gesetzt haben.
Diesmal kommt mir das Mobil des Herrn Jason Gocque trotzdem gar nicht mehr unpraktisch vor, sondern komfortabel wie die Wiege der Götter. König Arthur fährt mit sensationeller Weichheit und Eleganz durch die kurvenreichen Straßen. Der Motor ist kaum hörbar, und die legendäre Federung alter Jaguare macht, dass mir ist, als würden wir schweben – was auch an diesem Aprikosenabsinth liegen mag oder an der Heizung des Wagens, die jetzt ihre Dienste tut und mir die nasskalten Füße wärmt.
Soviel zum Mostviertel.
Wien bleibt Wien.
King Arthur ist ein äußerst erfahrener Partyscout. Ich folge seinen Einladungen blind. Für heute hat er eine technoide Sonnwendparty im Angebot, irgendwo in der Umgebung Wiens auf einem Berg. Das klingt mir annehmlich, denn mir brummt noch der Schädel von den Turbulenzen Piefkenesiens, die Natur um Wien interessiert mich und die Berge sind nah. Wenn man von Palais Riedl 1 kommend die Florianigasse entlangläuft, kann man die Albertgasse hinunter schon die ersten bewaldeten Hügel sehen...
Mister Jason Gocque schellt an der Windmühlgassenklingel, um uns abzuholen. Wir steigen in einen Jaguar, Baujahr 1991, dessen ehrwürdige Eleganz etwas kontrastiert mit der Kleinheit des Fahrzeuginnenraums. Auf dem Rücksitz kauernd, stoße ich ständig mit dem Schädel an der Decke an. Arthur fährt bei.
Nach einer Stunde Fahrt sind wir mitten im Bergwald. Wir nehmen einen ruckbesackten Wanderer mit, der erkennbar dasselbe Ziel hat wie wir. Er stellt sich heraus als Finn, ein Traveller aus dem Ruhrgebiet, der seit mehr als einem Jahr über Biohöfe, Bergalmen und alternative Wohnprojekte in ganz Europa woovt – also, für Kost und Logie dort lebt und arbeitet. Finn hat Glück, dass wir ihn mitnehmen. Denn auf den geschlungenen Bergpfad, auf dem wir uns jetzt heillos verfahren, hätte er sich ansonsten heillos verlaufen. So geht es schneller und endlich finden wir den richtigen Einstieg in den richtigen Berg und erreichen das Ziel.
Leider. Das Ziel entpuppt sich als eine bessere Privatparty auf einer Bergwiese, deren Lage nicht zu einer allzu beeindruckenden Aussicht, wohl aber dazu reicht, dauernd von einem strengen Wind bestrichen zu werden. Dazu hat es kurz vor unserer Ankunft geregnet und gehagelt, jetzt regnet es nur noch und meine Schuhe sind nicht wasserdicht.
Wir tun für die Stimmung, was getan werden kann. Etwa tun wir uns gütlich an einem selbstgebrannten Aprikosenabsinth (!), den der Mensch vom Essenszelt dabei hat. Der leiht mir auch zwei Decken, die ich dringend brauche, denn ich kühle aus und beginne bald so haltlos zu zittern, dass sich selbst der grundspöttische Arthur ernstlich um mich sorgt.
Später brennt ein Feuer, und als wir die anwesende Dorfjugend erfolgreich animieren, die herumstehenden Holzpaletten den Flammen zu übereignen, wird es mir endlich richtig warm. Ein Mädchen namens Dolores erzählt mir von ihrem Leben. Sie hat ein Urban Gardening Projekt in einem Wiener Gemeindebau gestartet. Diese Gemeindebauten sind das große wohnungspolitische Erbe des „Roten Wiens“, und ihr Bau verfügt alleine über 17 Stiegen (– 17 Treppenhäuser sind das, Piefke!) Im Hof hat die schmerzensreiche Dolores Hoch- und Tiefbeete angelegt und eine Sitzgruppe gebaut. Und dieser Kommunikationsknotenpunkt steht für sie auf der Linie der großen, globalen Rebellion, als deren Teil sie sich sieht.
Ich bin trotz dieser netten Bekanntschaft genervt - vom Wetter, vom Wind, von meinen patschnassen Socken - und vom DJ.
Der DJ ist nicht nur grottenschlecht, sondern hält es auch für unbeschreiblich cool, ununterbrochen in die Musik zu labern und seine Stimme dabei mit Echo-Effekten zu belegen. Er spielt „One Love“ von Bob Marley mit Technobeats, und es ist direkt eine Erleichterung, als er ankündigt, den Sound nunmehr abdrehen zu müssen, … der bösen Nachbarn wegen.
Nachbarn? Die müssen mehr als zwei Kilometer entfernt wohnen, ich sehe hier weit und breit keine Nachbarn. Aber Österreich ist eben geschlagen mit seinen Spießern mit absolutem Gehör.
Endlich schreitet Mister Jason Gocque heran und beherzt ein und verkündet: dass wir jetzt die Heimreise antreten! Das wurde vor Stunden schon einmal behauptet. Diesmal scheint es zu stimmen. Arthur ist bereits im Aufbruchsmodus und mir, der ich befürchtet hatte, die Nacht auf diesem vermaledeiten Berg verbringen zu müssen, ist es, als käme ein Helikopter der Bergwacht angeflogen, um uns vor dem sicheren Tod zu retten.
Der Helikopter ist dann der Jaguar von Mister Gocque. Bei dessen Start spielt sich eine filmreife Szene ab. Alle stehen um den Wagen herum und keiner hat den Schlüssel. Oh, ich habe ihn in der Hosentasche, wie sich herausstellt, verrichte aber soeben meine Notdurft im Gebüsch. Mister Jason Gocque ruft mir zu, ich solle das Auto per Fernbedienung öffnen und zwar „einfach irgendeinen Knopf drücken“. Als ich das tue, geht der Autoalarm des Jaguaren los! Ich drücke erneut, der Alarm geht aus – und sofort wieder an, in veränderter Tonlage! Ich werfe den Schlüssel dem PKW-Halter zu: der drückt und löst wiederum einen ganz anders klingenden Alarmton aus. So geht das eine Zeit. Rundherum, der Jaguar tobt, bricht auf dem Parkplatz infernalisches Gelächter los, und wir kichern selbst noch kilometerweit, als wir das Gefährt endlich zur Ruhe gebracht und in Bewegung gesetzt haben.
Diesmal kommt mir das Mobil des Herrn Jason Gocque trotzdem gar nicht mehr unpraktisch vor, sondern komfortabel wie die Wiege der Götter. König Arthur fährt mit sensationeller Weichheit und Eleganz durch die kurvenreichen Straßen. Der Motor ist kaum hörbar, und die legendäre Federung alter Jaguare macht, dass mir ist, als würden wir schweben – was auch an diesem Aprikosenabsinth liegen mag oder an der Heizung des Wagens, die jetzt ihre Dienste tut und mir die nasskalten Füße wärmt.
Soviel zum Mostviertel.
Wien bleibt Wien.
Sonntag, 22. Juni 2014
Brief auf Wien (16) Gudrun Ensslin auf der Flucht vor Kunigunde
###30. Juni: Doppelkonzert Prinz Chaos II. mit Cynthia Nickschas // Theater am Spittelberg // Wien###
Brief auf Wien (16) Gudrun Ensslin auf
der Flucht vor Kunigunde
Mit einem Lamento auf die Deutsche Bahn
öffentlich in Erscheinung zu treten, verbietet sich. Dass ich aber
mitten in Deutschland aufgrund einer heillos verspäteten
Regionalbahn den Anschluss nach Österreich verpasse, entbehrt der
historischen Ironie nicht.
Als ich am Wiener Westbahnhof dem Zug
entsteige, habe ich eine achteinhalbstündige Tortur hinter mir, die
nicht ohne Folgen für die Nachwelt geblieben ist. In meiner Empörung
hatte ich plötzlich einen karnevalistischen Stimmungshit im Hirn
gehabt: „So heilt die Zeit tatsächlich manche Wunde / Kunigunde /
noch eine Runde...“, geht das im Refrain. Ein grauenvolles Werk,
das umgehend verboten gehört. Ich schrieb es dennoch nieder. Auch
zur Strafe für jene, denen die literarische Qualität meiner
sonstigen Texte zu „anstrengend“ ist.
Dazu arbeitete ich im Zug an einem
längeren Artikel über „Diskurse der Gefährlichkeit“ und las,
anfangs etwas unwillig, dann mit wachsendem Vergnügen, im Büchlein
„Big Sur“ des Beatpoeten Jack Kerouac.
Am Bahnsteig holt mich der junge
Schauspieler ab. Er spielt derzeit in Molières „Don Juan“ den
Diener der Hauptperson und rettet ansonsten die Welt. Ich selber
rette die Welt schon länger, aber nicht in Wien. Wien muss sich ohne
meine Mithilfe erretten, denn ich habe mir für Österreich ein
striktes politisches Betätigungsverbot auferlegt.
Auferlegt? Gegönnt, wohl eher. Auf der
Mariahilferstrasse kommt König Arthur angeradelt und begleitet uns
einige Meter. Es ist weit nach Mitternacht als ich endlich in Palais
Riedl 1 einlaufe. Meister Riedl ist am Ort. Er erkennt meinen
existenziell bedrohten Zustand, wie es scheint und leistet mit einem
Grünen Veltliner erste Hilfe.
Transmutationen!
Der Riedl hat sich seit unserer
letztmaligen Begegnung einen opulenten Bart stehen lassen. Er schaut
damit 1:1 aus wie ein Theoretiker des Austromarxismus um die vorige
Jahrhundertwende, wie er noch dazu vor seinen die hohen Decken des
Altbaus bis obenhin ausfüllenden Bücherregalen sitzt und seine
Nickelbrille aufsetzt, um mir aus einem Werk über die
Architekturpolitik römischer Kaiser vorzulesen, das aufgeschlagen
auf seinem Arbeitstisch gelegen war. Ich spiele mit der Idee, einen
Song über „Die Bärte der alten Sozialdemokratie“ zu schreiben,
bezweifle aber, dass sich für diese Thematik eine relevante
Zuhörerschaft finden ließe.
Ich selber habe ebenfalls einen
Waschgang in der Chamäleonmaschine hinter mir. Ich habe neuerdings
industriegrau gefärbtes Haar mit grünen Einschlägen. Mein Hofnarr
findet, ich sähe aus als sei ich in einen Pool mit
Pfefferminzschnaps gestürzt und anschließend mit einem fauligen
Fisch durchgewatscht worden. Ich selber finde, ich sehe aus wie
Julian Assange und zwar: hervorragend! Eine Facebook-Freundin
vergleicht mich mit Billy Idol, also: mit dem Billy Idol der 80er
Jahre!
Der Riedl selber hat mich sogar, wie
sich herausstellt, minutenlang verwechselt. Er hat ursprünglich
gemeint, Gudrun Ensslin auf der Flucht vor seiner Haustür stehen zu
haben, die er prompt einließ - bis ihm bei meiner Beichte über den
Stimmungshit mit Kunigunde leise Zweifel kamen und er dann doch mich
in mir erkannte...
So oder so ähnlich ist es gewesen.
Das wird zumindest behauptet.
Erwiesen ist, dass ich nicht alt wurde
in dieser Nacht, sondern mich alsbald zur Ruhe legte. Für den Morgen
standen zwei Termine an: einer um 9:00 Uhr und einer um 9:45 Uhr. Ich
schrieb noch ein paar SMS hin und her mit Andreas Baader und Brigitte
Mohnhaupt. Dann entschlummerte ich in Morpheus Armen - im Ohr eine
himmlisch inspirierte Melodie, glöckerlklar gesungen von schneeweiß
gewandeten, barocken Engelschören am Wiener Firmament: „Und so
heilt die Zeit tatsächlich manche Wunde / Kunigunde / noch eine
Runde...“
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