Montag, 23. Dezember 2013

Brief aus Wien (4) Die Stradivari des Heiligen Nepomuk

Vielgeliebte Obertanen!
Ich muss gestehen, dass es mich einige Überwindung kostete, meinen langjährigen Weihnachtsboykott zu durchbrechen. Den hatte ich nach einer ganzen Serie weihnachtlicher Familiendesaster mittleren Ausmaßes begonnen und mich pudelwohl gefühlt damit. Jetzt also lief ich in die kleine Kapelle des Heiligen Nepomuk im 18. Bezirk ein, um einer Weihnachtsandacht besonderer Art beizuwohnen. Beziehungsweise war mir unklar, welcher Art diese Veranstaltung sein würde. Aber die Chefin meiner Agentur hatte das angeleiert, und das ist eine Frau, der die Schlauen vertrauen. Also warf ich mich in volles Ornat, legte meine nagelneuen Lackschuhe an und ging hin.
Dass übrigens mein Verhältnis zum Katholizismus in Wien einer Neubewertung harrt, ahne ich nun auch schon eine kleine Weile, und ich meine damit gerade und ausdrücklich nicht: das Christentum! Ich meine den Katholizismus, denn zum Christentum bleibt mir der Zugang dadurch verlegt, dass mich die Bibel – die mir zudem eine beispiellos ermüdende Lektüre ist - spirituell völlig kalt lässt, während mir jener Jesus, der mir aus den Evangelien entgegentritt, in seinem blasierten Messianismus vielleicht nicht ganz unähnlich, jedenfalls unsympathisch ist.
(Jesus, immer mit dieser leicht genervten Stimmungslage gegenüber seinen Jüngern: „Mei, Wahnsinn! Habt's'es Ihr denn immer noch ned begriffen? Naaa? Ooookay, also gut: dann erklär ich das Gleichnis jetzt halt noch amal...“)
Christentum ohne Bibel und ohne Jesus geht gar nicht? Sag ich doch, geht nicht! Katholizismus ohne Bibel und Jesus geht aber eben sehr wohl irgendwie vielleicht doch! Man kann sich ja an die Heerscharen der Seraphine und Cherubine, der Jünger, Kirchenväter, Schmerzensmütter und Märtyrer halten und sich erfreuen an Gold und Brokat und am Weihrauch, an üppigen Schnitzereien, knisternder Homoerotik, farbenfroh ausgemalten Kuppeln und spektakulären Kerzenleuchtern. Mich jedenfalls bringt ein so ausgestaltetes Umfeld Gott näher, - was ich von den auf das Unwesentliche reduzierten Rohbauten der Protestanten nun wahrlich nicht zu behaupten vermöchte.
Ein Märtyrer ist auch: der Heilige Nepomuk. Ich mag ihn sehr, schon aufgrund seines lustigen Namens. Der genaue Grund seiner Heiligkeit bleibt auch nach Lektüre des Wikipedia-Eintrags etwas unklar. Es scheint, dass der böhmische Mönch Johannes Nepomuk sich unter der Folter weigerte, ein Beichtgeheimnis auszuplaudern, wohl auch geriet er in einen Machtkampf mit dem König Wenzel.
Fest steht, dass er von der Prager Karlsbrücke in die Moldau gestürzt wurde. Er findet dementsprechend häufige Verwendung als Brückenheiliger und gilt als Patron der Verschwiegenheit.
Das war im Jahre 1393, und ich war noch sehr jung damals. 1736 - ich war nun schon um ein Weniges älter – stiftete ein Kriegsrat aus dem Umfeld des Prinzen Eugen von Savoyen die kleine Kapelle im 18. Bezirk. Und man wird mir die Exkursion erlauben, dass ein Neffe dieses Eugen-Prinzen, nämlich der Prinz Eugen von Sachsen-Hildburghausen, bald darauf mein Schloss zu Weitersroda als Domäne erhielt und bei der Beerdigung des Savoyen-Eugen überdem sogar eine ganze Ecke des Sarges alleine tragen durfte.
Die winzige Kapelle Johannes Nepomuk: ein Traum, ein Kleinod, ein Schmuckstück, eine Trouvaille! Eine Demonstration, wie viel katholischer Prunk pro Quadratmeter überhaupt möglich ist! Die Originalsubstanz aus der Barocke ist weitestgehend erhalten und liebevoll restauriert worden. Und der kleine Raum hatte sich bereits gut gefüllt mit Leuten, die ich fast ausnahmslos nicht kenne, aber vermutlich kennenlernen sollte. Denn was meine Agenturchefin anpackt, das ist in aller Regel dazu angetan, so ganz nebenhin netzwerkerischen Beifang zu generieren.
Ich erkannte auch die ORF-Moderatorin, während ich mich mit der Promi-Fotografin und dem sehr netten Herrn von diesem sehr renommierten Musikverlag anfreundete. Aber ich halte mich an den verschwiegenen Nepomuk, nenne keine Namen, zumal nunmehr der Therapeut, Theolog und Buchautor seine Predigt begann.
Dessen Worte waren genau richtig für mich, denn Jesus kam gar nicht vor und auch keine jener ewig selben Bibelgeschichten, die mich so maßlos langweilen. Stattdessen sprach dieser herzenswarme Mensch in guten und heutigen Worten und garniert mit Gedichten von Mascha Kaléko von einem Weihnachten, das mit meinem Leben und Leiden, mit meinen Sehnsüchten nach Stille und Aufgehobensein, so ziemlich alles in der Welt zu tun hat. Dazwischen sang – und diesen Namen nenne ich nun doch! - Sarah Maria Lackinger ihre Gebetsgesänge auf Spanisch. Das war sowohl spirituell ein Erlebnis wie auch ein musikalisch-gesanglicher Genuß.
Meine regelmäßig mit enormer Kraft in mir wütenden Abwehrmechanismen gegen das Christentum blieben ganz brav bei alledem, mehr noch: ich wurde ergriffen von dieser Weihnachtsstimmung und sanft emporgehoben.
Es ist eben das die Crux am Katholischen: es wirkt über die Sinne, und für Sinnlichkeiten bin ich von Haus aus empfänglich. Ich durfte dann auch noch mein Lied „Wofür hat Gott die Menschen gemacht" und kaum sitze ich wieder, steht dieser Geiger von den Wiener Philharmonikern am Altar. Der ist recht spontan auch noch vorbeigekommen und er spielt auf seiner echten Stradivari das Ave Maria. Die Töne dringend tief in mich ein, in dieser winzige, lieblichen Kapelle des Heiligen Nepomuk im 18, Bezirk, und ich weiß es plötzlich genau, in diesen göttlich beschenkten Augenblicken:
 - so! … weihnachtet es nur Wien!

Prinz Chaos II.
23. Dezember 2014

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