Vielgeliebte Obertanen!
Ich muss gestehen, dass es mich einige
Überwindung kostete, meinen langjährigen Weihnachtsboykott zu
durchbrechen. Den hatte ich nach einer ganzen Serie weihnachtlicher
Familiendesaster mittleren Ausmaßes begonnen und mich pudelwohl
gefühlt damit. Jetzt also lief ich in die kleine Kapelle des
Heiligen Nepomuk im 18. Bezirk ein, um einer Weihnachtsandacht
besonderer Art beizuwohnen. Beziehungsweise war mir unklar, welcher
Art diese Veranstaltung sein würde. Aber die Chefin meiner Agentur
hatte das angeleiert, und das ist eine Frau, der die Schlauen
vertrauen. Also warf ich mich in volles Ornat, legte meine nagelneuen
Lackschuhe an und ging hin.
Dass übrigens mein Verhältnis zum
Katholizismus in Wien einer Neubewertung harrt, ahne ich nun auch
schon eine kleine Weile, und ich meine damit gerade und ausdrücklich
nicht: das Christentum! Ich meine den Katholizismus, denn zum
Christentum bleibt mir der Zugang dadurch verlegt, dass mich die
Bibel – die mir zudem eine beispiellos ermüdende Lektüre ist -
spirituell völlig kalt lässt, während mir jener Jesus, der mir aus
den Evangelien entgegentritt, in seinem blasierten Messianismus
vielleicht nicht ganz unähnlich, jedenfalls unsympathisch ist.
(Jesus, immer mit dieser leicht
genervten Stimmungslage gegenüber seinen Jüngern: „Mei, Wahnsinn!
Habt's'es Ihr denn immer noch ned begriffen? Naaa? Ooookay, also gut:
dann erklär ich das Gleichnis jetzt halt noch amal...“)
Christentum ohne Bibel und ohne Jesus
geht gar nicht? Sag ich doch, geht nicht! Katholizismus ohne Bibel
und Jesus geht aber eben sehr wohl irgendwie vielleicht doch! Man
kann sich ja an die Heerscharen der Seraphine und Cherubine, der
Jünger, Kirchenväter, Schmerzensmütter und Märtyrer halten und
sich erfreuen an Gold und Brokat und am Weihrauch, an üppigen
Schnitzereien, knisternder Homoerotik, farbenfroh ausgemalten Kuppeln
und spektakulären Kerzenleuchtern. Mich jedenfalls bringt ein so
ausgestaltetes Umfeld Gott näher, - was ich von den auf das
Unwesentliche reduzierten Rohbauten der Protestanten nun wahrlich
nicht zu behaupten vermöchte.
Ein Märtyrer ist auch: der Heilige
Nepomuk. Ich mag ihn sehr, schon aufgrund seines lustigen Namens. Der
genaue Grund seiner Heiligkeit bleibt auch nach Lektüre des
Wikipedia-Eintrags etwas unklar. Es scheint, dass der böhmische
Mönch Johannes Nepomuk sich unter der Folter weigerte, ein
Beichtgeheimnis auszuplaudern, wohl auch geriet er in einen
Machtkampf mit dem König Wenzel.
Fest steht, dass er von der Prager
Karlsbrücke in die Moldau gestürzt wurde. Er findet dementsprechend häufige
Verwendung als Brückenheiliger und gilt als Patron der
Verschwiegenheit.
Das war im Jahre 1393, und ich war noch
sehr jung damals. 1736 - ich war nun schon um ein Weniges älter –
stiftete ein Kriegsrat aus dem Umfeld des Prinzen Eugen von Savoyen
die kleine Kapelle im 18. Bezirk. Und man wird mir die Exkursion
erlauben, dass ein Neffe dieses Eugen-Prinzen, nämlich der Prinz
Eugen von Sachsen-Hildburghausen, bald darauf mein Schloss zu
Weitersroda als Domäne erhielt und bei der Beerdigung des
Savoyen-Eugen überdem sogar eine ganze Ecke des Sarges alleine
tragen durfte.
Die winzige Kapelle Johannes Nepomuk:
ein Traum, ein Kleinod, ein Schmuckstück, eine Trouvaille! Eine
Demonstration, wie viel katholischer Prunk pro Quadratmeter überhaupt
möglich ist! Die Originalsubstanz aus der Barocke ist weitestgehend
erhalten und liebevoll restauriert worden. Und der kleine Raum hatte
sich bereits gut gefüllt mit Leuten, die ich fast ausnahmslos nicht
kenne, aber vermutlich kennenlernen sollte. Denn was meine
Agenturchefin anpackt, das ist in aller Regel dazu angetan, so ganz
nebenhin netzwerkerischen Beifang zu generieren.
Ich erkannte auch die
ORF-Moderatorin, während ich mich mit der Promi-Fotografin und dem
sehr netten Herrn von diesem sehr renommierten Musikverlag
anfreundete. Aber ich halte mich an den verschwiegenen Nepomuk, nenne
keine Namen, zumal nunmehr der Therapeut, Theolog und
Buchautor seine Predigt begann.
Dessen Worte waren genau richtig für
mich, denn Jesus kam gar nicht vor und auch keine jener ewig selben
Bibelgeschichten, die mich so maßlos langweilen. Stattdessen sprach
dieser herzenswarme Mensch in guten und heutigen Worten und garniert
mit Gedichten von Mascha Kaléko von einem Weihnachten, das mit meinem
Leben und Leiden, mit meinen Sehnsüchten nach Stille und
Aufgehobensein, so ziemlich alles in der Welt zu tun hat. Dazwischen
sang – und diesen Namen nenne ich nun doch! - Sarah Maria Lackinger
ihre Gebetsgesänge auf Spanisch. Das war sowohl spirituell ein
Erlebnis wie auch ein musikalisch-gesanglicher Genuß.
Meine regelmäßig mit enormer Kraft in
mir wütenden Abwehrmechanismen gegen das Christentum blieben ganz
brav bei alledem, mehr noch: ich wurde ergriffen von dieser
Weihnachtsstimmung und sanft emporgehoben.
Es ist eben das die Crux am
Katholischen: es wirkt über die Sinne, und für Sinnlichkeiten bin
ich von Haus aus empfänglich. Ich durfte dann auch noch mein Lied
„Wofür hat Gott die Menschen gemacht" und kaum sitze ich
wieder, steht dieser Geiger von den Wiener Philharmonikern am Altar.
Der ist recht spontan auch noch vorbeigekommen und er spielt auf
seiner echten Stradivari das Ave Maria. Die Töne dringend tief in
mich ein, in dieser winzige, lieblichen Kapelle des Heiligen Nepomuk
im 18, Bezirk, und ich weiß es plötzlich genau, in diesen göttlich
beschenkten Augenblicken:
- so! … weihnachtet es nur Wien!
Prinz Chaos II.
23. Dezember 2014
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