Sonntag, 22. Dezember 2013

Brief aus Wien (3) CM Talleyrand und HC Strache

Meistgeliebte Obertanen!
Personen, deren Erkenntnis unbefleckt ist vom kleinsten Fitzelchen Wissens um Kultur und Funktionieren des Alten Europas, sind zuverlässig zu erkennen an ihrer Haltung gegen Österreich. Sie werden dieses Land und seine Leute belächeln und verhöhnen, humoristisch indiskutable Ösi-Witze reißen und gerade so von „Schluchtenscheißern“ witzeln, als sei die Heimstätte der Wiener Philharmoniker eine Berghütte unweit des Stubaier Gletschers.
Sämtliche Halbidioten, die sich einmal für Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm zu begeistern wussten, sind Ignoranten dieser Strickart ganze Zeitalter voraus. Letztere ahnen von der Bedeutung Österreichs im Zentrum des Alten Europas rein nichts. Erstere nur fast nichts.
In einem hinreißenden Trödelladen im Bezirk Ottakring habe ich, eine Anschlusslektüre an Feuchtwangers „Josephus“ suchend, einen historischen Roman namens und über Talleyrand erstanden. Historische Romane sind ein gefährliches Genre. Sie gelingen den Wenigsten, wie sie Feuchtwanger zuverlässig gelungen sind. Aber die Investition von 1 Euro für das Werk erleichterte mir die Kaufentscheidung. Zum Glück. Ich lese mit Genuss und Erkenntnisgewinn ein sehr gutes Buch von Mirko Jelusisch (Talleyrand. Wien, 1978).
Mich justament in Wien erneut meinem Freund Charles-Maurice Talleyrand-Périgord zuzuwenden - zwei Jahren nach der Lektüre der meisterhaften Talleyrand-Biographie von Jean Orieux, in der Heinrich-Mann-Klinik zu Bad Liebenstein: Talleyrand in Wien, das ist, wie Talleyrand bei der Bandscheiben-Reha, von jener symbolischen Treffsicherheit, auf die ich Wert lege im Leben.
Natürlich! Talleyrands Rolle beim Wiener Kongreß 1815, - unvergessen! Ich sehe ihn noch vor mir, wie eine hinkende Katze vom Roulettetisch hinübergleitend zu jener Chaiselongue enthusiasmierter Hofdamen, unterwegs dem Adjutanten Metternichs einen kaum merklichen Blick zublinzelnd. (Der Adjutant versteht und empfiehlt sich.)
Entscheidender als diese Reminiszenzen an den Grandseigneur der Hochdiplomatie fügt sich in meinen derzeitigen Gedankenkreis die unerschütterliche Loyalität, die dieser entscheidenden Figur der europäischen Großmachtpolitik im Verhältnis zu Österreich eignete.
Hören wir Talleyrand, im Gespräch mit Alexander von Rußland (in Erfurt, 1808):

<<„Keineswegs“, verneint Alexander. „Ich habe keinen Grund Österreich zu favorisieren, aber ebensowenig einen, es zu schwächen. Schließlich war dieser Staat in den Stürmen der letzten zwanzig Jahre ein fester Pol.“
„Österreich, Sire, ist mehr.“ Es ist keine Spur Wärme in Talleyrands Stimme: was er zu sagen hat, sagt er im Tone mathematischer Feststellungen. „Dieses zusammengeerbte und zusammengeheiratete Konglomerat von Völkern ist der Knoten an dem Seil, das Europa zusammenhält.“
Alexander: „Sie sprechen warm für Österreich.“
Talleyrand: „Ich bitte um Verzeihung, ich spreche nicht für Österreich, ich spreche für Europa und den Frieden.“>>

Der Knoten an dem Seil, das Europa zusammenhält! Nun wird man diese Beschreibung nicht für alle Phasen der europäischen Geschichte für Österreich in Anschlag bringen wollen. So würde im dreißigjährigen Krieg die Rolle des Habsburger-Reichs unter Kaiser Ferdinand als Knoten im Galgenstrick Europas besser illustriert sein.
Aber je mehr der Nationalismus aufkommt in Europa, und später dann, je mehr sich das Gift des Antisemitismus und des völkischen Wahns durch die Bahnen des europäischen Geisteslebens frisst, die mondäne Kultur Europas zersetzend, desto mehr erscheint dieses untergehende, zusammengeerbte und zusammengeheiratete Konglomerat von Völkern als geradezu progressiver Gegenentwurf zu einem Europa unterm preußischen Soldatenstiefel. Erben und heiraten ist eben nicht: überfallen und erobern!
Ja, es gab andere Entwürfe eines geeinten Europas als Bismarcks kleingroßdeutschen Militärstaat. Der österreichische Vielvölkerstaat mit seiner gemächlichen, aber durchaus effektiv arbeitenden Verwaltung war ein solches, vereinigtes Europa, en miniature. Die hiesige Langsamkeit zeugt überhaupt und bis heute von einem katholisch geprägten Arbeitsethos, der der unseligen Hektik des Protestantismus ganz entgegengesetzt ist.
Nun bin ich zu sehr an Karl Kraus geschult, um die in Österreich vor und während des Ersten Weltkriegs grassierende Niedertracht und moralische Verkommenheit zu verkennen. Zu Talleyrands Zeit bestand wenig Anlass, der Polizeistaatsromantik unter Metternich Minne zu singen. Die nächste Regierung in Wien könnte sehr wohl angeführt sein von einem Neofaschisten namens H.C. Strache, und der robuste Spießerkonsens im öffentlichen Raum ist bis heute ungebrochen.
Das nun sind legitime Linien der Österreich-Kritik. Und wer wäre ich, - Prinz Minderheit! - irgendein Land der Erde oder irgendeine Bevölkerung in toto zu bejahen? Die Mehrheit ist zu allen Zeiten und Orten eine Katastrophe gewesen, und sie ist es noch.
Eben darum ist lebensqualitätsentscheidend für mich allein die Qualität kulturtragender Minderheiten. Und die war und ist in Österreich deutlich höher als anderswo, und das scheint auch für die Zukunft gesichert. Den Spleen der Weltpolitik hat Klio, die Muse der Geschichte, diesem Land schließlich ausgetrieben.
Es verblieben zwei Domänen austrianischer Weltgeltung: Kultur & Wintersport! Damit hat man es gut getroffen. Denn das Erstere ist rundweg zu begrüßen, das Zweitere, immerhin für den Zuschauer, ungefährlich. Wenn nur dieser verfluchte Strache nicht...

Prinz Chaos II.

Wien, 22. Dezember 2013

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