Meistgeliebte Obertanen!
Personen, deren Erkenntnis unbefleckt
ist vom kleinsten Fitzelchen Wissens um Kultur und Funktionieren des
Alten Europas, sind zuverlässig zu erkennen an ihrer Haltung gegen
Österreich. Sie werden dieses Land und seine Leute belächeln und
verhöhnen, humoristisch indiskutable Ösi-Witze reißen und gerade
so von „Schluchtenscheißern“ witzeln, als sei die Heimstätte
der Wiener Philharmoniker eine Berghütte unweit des Stubaier
Gletschers.
Sämtliche Halbidioten, die sich einmal
für Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm zu begeistern wussten, sind
Ignoranten dieser Strickart ganze Zeitalter voraus. Letztere ahnen
von der Bedeutung Österreichs im Zentrum des Alten Europas rein
nichts. Erstere nur fast nichts.
In einem hinreißenden Trödelladen im
Bezirk Ottakring habe ich, eine Anschlusslektüre an Feuchtwangers
„Josephus“ suchend, einen historischen Roman namens und über
Talleyrand erstanden. Historische Romane sind ein gefährliches
Genre. Sie gelingen den Wenigsten, wie sie Feuchtwanger zuverlässig
gelungen sind. Aber die Investition von 1 Euro für das Werk
erleichterte mir die Kaufentscheidung. Zum Glück. Ich lese mit
Genuss und Erkenntnisgewinn ein sehr gutes Buch von Mirko Jelusisch
(Talleyrand. Wien, 1978).
Mich justament in Wien erneut meinem
Freund Charles-Maurice Talleyrand-Périgord zuzuwenden - zwei Jahren
nach der Lektüre der meisterhaften Talleyrand-Biographie von Jean
Orieux, in der Heinrich-Mann-Klinik zu Bad Liebenstein: Talleyrand in
Wien, das ist, wie Talleyrand bei der Bandscheiben-Reha, von jener
symbolischen Treffsicherheit, auf die ich Wert lege im Leben.
Natürlich! Talleyrands Rolle beim
Wiener Kongreß 1815, - unvergessen! Ich sehe ihn noch vor mir, wie
eine hinkende Katze vom Roulettetisch hinübergleitend zu jener
Chaiselongue enthusiasmierter Hofdamen, unterwegs dem Adjutanten
Metternichs einen kaum merklichen Blick zublinzelnd. (Der Adjutant
versteht und empfiehlt sich.)
Entscheidender als diese Reminiszenzen
an den Grandseigneur der Hochdiplomatie fügt sich in meinen
derzeitigen Gedankenkreis die unerschütterliche Loyalität, die
dieser entscheidenden Figur der europäischen Großmachtpolitik im
Verhältnis zu Österreich eignete.
Hören wir Talleyrand, im Gespräch mit
Alexander von Rußland (in Erfurt, 1808):
<<„Keineswegs“, verneint
Alexander. „Ich habe keinen Grund Österreich zu favorisieren, aber
ebensowenig einen, es zu schwächen. Schließlich war dieser Staat in
den Stürmen der letzten zwanzig Jahre ein fester Pol.“
„Österreich, Sire, ist mehr.“ Es
ist keine Spur Wärme in Talleyrands Stimme: was er zu sagen hat,
sagt er im Tone mathematischer Feststellungen. „Dieses
zusammengeerbte und zusammengeheiratete Konglomerat von Völkern ist
der Knoten an dem Seil, das Europa zusammenhält.“
Alexander: „Sie sprechen warm für
Österreich.“
Talleyrand: „Ich bitte um Verzeihung,
ich spreche nicht für Österreich, ich spreche für Europa und den
Frieden.“>>
Der Knoten an dem Seil, das Europa
zusammenhält! Nun wird man diese Beschreibung nicht für alle Phasen
der europäischen Geschichte für Österreich in Anschlag bringen
wollen. So würde im dreißigjährigen Krieg die Rolle des
Habsburger-Reichs unter Kaiser Ferdinand als Knoten im Galgenstrick
Europas besser illustriert sein.
Aber je mehr der Nationalismus aufkommt
in Europa, und später dann, je mehr sich das Gift des Antisemitismus
und des völkischen Wahns durch die Bahnen des europäischen
Geisteslebens frisst, die mondäne Kultur Europas zersetzend, desto
mehr erscheint dieses untergehende, zusammengeerbte und
zusammengeheiratete Konglomerat von Völkern als geradezu
progressiver Gegenentwurf zu einem Europa unterm preußischen
Soldatenstiefel. Erben und heiraten ist eben nicht: überfallen und
erobern!
Ja, es gab andere Entwürfe eines
geeinten Europas als Bismarcks kleingroßdeutschen Militärstaat. Der
österreichische Vielvölkerstaat mit seiner gemächlichen, aber
durchaus effektiv arbeitenden Verwaltung war ein solches, vereinigtes
Europa, en miniature. Die hiesige Langsamkeit zeugt überhaupt und
bis heute von einem katholisch geprägten Arbeitsethos, der der
unseligen Hektik des Protestantismus ganz entgegengesetzt ist.
Nun bin ich zu sehr an Karl Kraus
geschult, um die in Österreich vor und während des Ersten
Weltkriegs grassierende Niedertracht und moralische Verkommenheit zu
verkennen. Zu Talleyrands Zeit bestand wenig Anlass, der
Polizeistaatsromantik unter Metternich Minne zu singen. Die nächste
Regierung in Wien könnte sehr wohl angeführt sein von einem
Neofaschisten namens H.C. Strache, und der robuste Spießerkonsens im
öffentlichen Raum ist bis heute ungebrochen.
Das nun sind legitime Linien der
Österreich-Kritik. Und wer wäre ich, - Prinz Minderheit! -
irgendein Land der Erde oder irgendeine Bevölkerung in toto zu
bejahen? Die Mehrheit ist zu allen Zeiten und Orten eine Katastrophe
gewesen, und sie ist es noch.
Eben darum ist
lebensqualitätsentscheidend für mich allein die Qualität
kulturtragender Minderheiten. Und die war und ist in Österreich
deutlich höher als anderswo, und das scheint auch für die Zukunft
gesichert. Den Spleen der Weltpolitik hat Klio, die Muse der
Geschichte, diesem Land schließlich ausgetrieben.
Es verblieben zwei Domänen
austrianischer Weltgeltung: Kultur & Wintersport! Damit hat man
es gut getroffen. Denn das Erstere ist rundweg zu begrüßen, das
Zweitere, immerhin für den Zuschauer, ungefährlich. Wenn nur dieser
verfluchte Strache nicht...
Prinz Chaos II.
Wien, 22. Dezember 2013
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