Die neue CD ist jetzt offiziell im Handel - und hier kommt eine erste, sehr schöne Rezension mit 17 von 20 Bewertungspunkten…
Botschaften seiner
Königlich-Chaotischen Provokanz,
des Schlossherrn zu Weitersroda,
an seine Obertanen.
Freitag, 9. Mai 2014
Sonntag, 4. Mai 2014
Brief aus Wien (14) Der perfekte 1. Mai
Stets geachtete Obertanen!
Der 1.
Mai in Wien gibt mir Gelegenheit, zuverlässig an den Beginn des 20.
Jahrhunderts zu wechseln: ich sehe mir den Mai-Aufmarsch der SPÖ an!
Vor dem
Rathaus ist eine Bühne gigantischer Ausmaße aufgebaut, auf welcher
die Honoratioren der Sozialdemokratie mit roten Tüchern winkend und
aus allen Poren in der Frühlingssonne schwitzend den Vorbeimarsch
der Basis abnehmen. Immer wieder groß auf der Videoleinwand: der
Parteivorsitzende und Bundeskanzler Faymann und der sozialdemokratische Bürgermeister
Wiens, Michael Häupl. Tradition und Gegenwart der Sozialdemokratie:
Die drei Pfeile des antifaschistischen Schutzbunds prangen auf einem
großen Hochglanztransparent an der Bühne. Ein anderes liest sich:
„Wien lieben! Wien leben!“
Eine
Blaskapelle zieht vorbei. Sie spielt: „Die Arbeiter von Wien“.
Der Moderator verkündigt den Vorbeizug der SPÖ-Sektion aus
Ottakring: „angeführt von den Mandataren und Mandatarinnen“. Es
folgen die Kurden. Der Moderator spricht über deren lange
Unterdrückung, als die Fahnen mit dem Konterfei von Apo Öcallan
vorbeiflattern. Danach rennt eine Arbeitsloseninitiative an der Bühne
vorbei. Daraufhin eine Blaskapelle, sie spielt: „Die Arbeiter von
Wien“.
Die
Abordnung der SPÖ aus dem Bezirk Penzing wird angeleitet von ihrem
„traditionellen roten Bummelzug“ und die Roten Falken aus Penzing
„haben eine Vision. Von Penzing aus die Welt zu einem friedlicheren
und gerechteren Ort zu machen.“
Visionen
hat es auch in Wien Margareten: „Europa bewegt Margareten –
Margareten bewegt Europa“ erläutert der Moderator. Die SPD
Simmering hat einen neuen Sportplatz durchgesetzt. Ein
vorbeimarschierender Kinder- und Jugendchor singt: „Die Arbeiter
von Wien“
Auf
Transparenten: schlimme, schlimme Wortspiele! „NEUropa schaffen!“
oder „Privatisierungen sind dumn – bumm!“ Der Moderator spricht
von „70 Jahren Frieden“, die wir in Europa erleben haben dürfen.
Mei, Serbien wird halt gerne verdrängt in Österreich...
Auf den
Stufen des Burgtheaters halten Männer ein Transparent hoch: „Väter
haben Rechte“ steht darauf. Ein Grüppchen sozialdemokratischer
Frauen steht davor und ruft ausdauernd: „Haut ab! Haut ab! Haut
ab!“ Am Bücherstand einer trotzkistischen Weltpartei erwerbe ich
Karl Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich. Habe ich natürlich
Zuhause in den gesammelten Werken, aber für Leute mit kaputten
Rücken sind die blauen Bände kaum transportabel.
Auf
einem offenen Lastwagen fährt eine Band im Aufmarsch mit. Als sie
sich der großen Bühne nähert, beginnt sie das Kampflied: „Der
heimliche Aufmarsch“: „Es geht durch die Welt ein Geflüster /
Arbeiter hörst Du es nicht / Das sind die Stimmen der Kriegsminister
/ Arbeiter, hörst Du sie nicht? / Es flüstern die Kohle- und
Stahlproduzenten / Es flüstert die chemische Kriegsproduktion / Es
flüstert von allen Kontinenten: / Mobilmachung gegen die ...“
Der
Moderator auf der Bühne kennt scheint's immerhin den Text, denn
bevor das Wort „Sowjetunion“ gesungen wird, geht er mit einer
sehr freundlichen, belanglosen Ansage resolut dazwischen.
„Eine
Bewegung mit solchen Blaskapellen muss siegen!“ sage ich feierlich,
als ich in die Lenaugasse heimkehre. Sir Roland erklärt, die
Blaskapelle der Brigittenauer Straßenbahner sei die vorzüglichste
aller Blaskapellen und musikalisch gesehen sowieso die einzigen, die
was könnten.
Ich
sinniere. Natürlich ist nichts naheliegender, als über diesen
Maiaufmarsch zu spotten. Selbst der Berliner CSD wirkt politisch
bedrohlich im Vergleich. Mir persönlich haben vor der Empore der
Parteigrößen vorbeifahrende Artilleriegeschütze und
Kavallerieeinheiten gefehlt. Nur sage ich mir dann auch: was, wenn es
alle diese Organisationen und ihre engagierten, harmlosen Menschen
nicht mehr geben würde? Die Roten Falken aus Penzing, die Europa
bewegenden Margaretener, die Arbeitsloseninitiative und die Kurden
und die Blaskapellen? Die Welt wäre definitiv kein besserer Ort. Und
so wollen wir versöhnlich bleiben.
Ich bin
dennoch froh, anschließend mit König Artur aufs Fahrrad zu steigen.
Auf der Donauinsel soll es eine Goaparty geben.
Die
Donauinsel ist ein städtebaulicher Geniestreich! Die Wiener haben
das Problem ewig versumpften Geländes einfach gelöst, indem sie
eine fünf Kilometer lange Insel mitten in den Fluss und in zentraler
Innenstadtlage gebaut haben.
Die
Donauinsel hat Wien endgültig zur lebenswertesten Stadt der Welt
gemacht und die Goaparty ist genau, was ich jetzt brauche. In
Deutschland werde ich von einigen Leuten gerade zum „Querfrontler“
umdefiniert. Ich würde darüber sehr lachen, wenn ich es lustig
fände.
Ich
vermute, dass man das Phänomen der Montagsmahnwachen wahrscheinlich
auch nicht verstehen kann, wenn man von der elektronischen Subkultur
der letzten 20 Jahren nichts mitbekommen hat. Sind diese Leute hier
auf der Goaparty links? Sind sie rechts? Sind sie:
„Verschwörungstheoretiker“?
Vermutlich
glauben hier 3,6% mehr als im Bevölkerungsdurchschnitt, dass die
Pyramiden von Außerirdischen gebaut wurden. Sicher, das liegt auch
am LSD, aber es ist wohl keine orignär „rechte“ Meinung, an
irdische Bauprojekte Außerirdischer zu glauben.
Entscheidender
scheint mir eine Art des Feierns und des Miteinanders zu sein, die
sich in dieser Szene entwickelt und gehalten hat. Ein sehr
liebevoller Umgang miteinander; ein selbstverständlicher
Grundkonsens, dass hier jeder und jede sein darf, was es möchte;
diese federleichte Schwingung, die zwischen den Schlägen des
Bassbeats unsere Körper durchzittert; das Leuchten in den Augen; die
Leichtigkeit der Kommunikation mit „fremden“ Menschen, die alles
sind, nur nicht fremd, weil sie lächeln. Und dazu eine Schönheit
der Körper, die vom Tanzen kommt und vom Yoga, von langen Reisen mit
dem Rucksack - und von der vegetarischen Ernährung, die hier viele,
wenn auch sicherlich nicht alle, bevorzugen.
Ich
sitze an der Reling eines Hausboots und schaue auf die Donau als ich
dieses alles denke. Jedoch stört etwas meine seelenvolle Ruhe,
dringt lärmend vor in meine Aufmerksamkeit. Ich wende mich herum und
da ist ein Tisch voller Jungs. Alle trinken Dosenbier. Alle haben
schwarze Sonnenbrillen auf. Einer hat ein Tattoo mit einem eisernen
Kreuz. Die einzige Frau am Tisch ist es, die mich aufgestöbert hat
in meiner gedankenvollen Stille: sie redet laut und zeternd und
scheint sich selbst dabei witzig und selbstbewusst zu finden, während
sie weder das eine noch das andere ist.
„Wer
ist hier links? Wer ist hier rechts?“ frage ich mich erneut. Sind
das da verkappte Nazis? Traue ich ihnen zu, Menschen zu verprügeln,
zu töten oder in Viehwagons zu verfrachten? Ehrlich gesagt: ich
traue so etwas keinem Menschen zu, würde aber auch bei niemandem
ausschließen, dass Entwicklungen dazu führen könnten, ihn oder sie
zu einer solchen Bestie zu machen – wie ich auch die Menschwerdung
faschistischer Bestien nicht ausschließen würde, denn: Menschen
verändern sich und wer will vorhersagen, wohin?
Eventuell
kann man es positiv beeinflussen, wenn schon nicht vorhersagen.
Dieser Tisch aber macht mir Sorgen. Wie eine Wagenburg sitzen diese
groben Typen um den Biertisch, bilden eine klare, harte Einheit
inmitten eines Festes, das solcherlei Begrenzungen an sich
zuverlässig auflösen sollte.
Dann
aber geschieht etwas Interessantes: einer dieser Typen rollt einen
Joint. Gleichzeitig holt mich Artur aus der Düsternis meiner
Gedanken zurück und schlägt vor, uns auf die Liegewiese zu begeben.
Ich trinke noch aus, am Nebentisch geht der Joint herum. Und mit
einem Male entspannt sich die Lage. Die hysterisch zeternde Dame am
Nebentisch setzt sich gemütlicher hin, einer nimmt sie in den Arm
und sie hört auf zu zetern. Ein junger Typ, sympathischer
Elektrohippie mit Rastas und sehr dunkler Haut, tritt an den Tisch
und ist offensichtlich ein Freund von dem Typen mit dem
Eisernkreuz-Tattoo – Menschenskinder, ist die Welt kompliziert!
Also, die Welt selber vielleicht nicht, aber die genaue Einteilung
von Menschenwesen in klare Kategorien ist echt mühselig in letzter
Zeit...
Ich
tanze ein wenig. Ich hänge die Füße in die Donau. Ich tanze
nochmal. Ich lungere auf der Liegewiese in der Sonne herum. Es geht
mir besser. Es gut mir gut, sogar.
Später
fahren wir auf fantastischen Fahrradstrassen zurück zu Arturs
Wohnung. Dort kocht er mir Reis mit dem geliebten chinesischen
Wasserspinat. Wir sehen uns „Wiener Brut“ an, einen hinreissenden
Film von und über die Schwulenszene Wiens in den 80er Jahren. Artur
spielt die Hauptrolle und sieht einfach sensationell aus; häßlich
ist er ja bis heute nicht.
Später
gehen wir an den Prater. Erneut liegen wir im Gras und schauen uns
das traditionell fantastischste Wiener Feuerwerk des Jahres an. „It
is such a perfect day / I'm glad I spent it with you...“ singe ich
vor mich hin. Artur, mein treuer Engel über Wien, hat mich aus den
Tiefen meiner deutschen Misere gerettet: der perfekte 1. Mai!
Freitag, 2. Mai 2014
CD TsunamiSurfer HANDELSSTART DEUTSCHLAND & ÖSTERREICH
Meistgeliebte Obertanen!
Ab heute darf ich Euch auch ganz offiziell mein neuestes Werk demütig zu Füßen legen. Mit der Labelpräsentation heute Abend im Theater am Spittelberg in Wien startet die CD "TsunamiSurfer" in Deutschland & Österreich in den Handel.
Einige von Euch haben das Werk ja schon bei den Konzerten der letzten Wochen erstehen können. Das Feedback lässt mich besten Gewissens sagen: holt Euch die Scheibe!
Es grüßt Euch voll Liebe und Zuversicht aus Wien
der in der Tat zur Zeit einen Tsunami surfernde
Prinz Chaos II.
Ab heute darf ich Euch auch ganz offiziell mein neuestes Werk demütig zu Füßen legen. Mit der Labelpräsentation heute Abend im Theater am Spittelberg in Wien startet die CD "TsunamiSurfer" in Deutschland & Österreich in den Handel.
Einige von Euch haben das Werk ja schon bei den Konzerten der letzten Wochen erstehen können. Das Feedback lässt mich besten Gewissens sagen: holt Euch die Scheibe!
Es grüßt Euch voll Liebe und Zuversicht aus Wien
der in der Tat zur Zeit einen Tsunami surfernde
Prinz Chaos II.
Donnerstag, 1. Mai 2014
Brief aus Wien (13) Gescheiterte Flucht ins 18. Jahrhundert
Vielgeliebte Obertanen!
Keine zwei Stunden nach meiner
spontanen Rede bei der Montagsmahnwache, sitze ich in der
Königlich-Chaotischen Hofkutsche japanischer Fabrikation. Ich
verlasse die Stadt des Feuers, Berlin, Berlin: geboren im Zeichen des
Widders, vermaledeiter Moloch, wo ich auf ewig gefangen sein werde in
der Zeitschleife meiner berufsrevolutionären Jugend.
Mein Pianist lenkt dankenswerterweise
die Gäule. Dieser Mensch ist sehr aufgehoben in der Welt der feinen
Töne und der Musiktheorie. Politik langweilt ihn tödlich. Von
diesen ominösen Mahnwachen hat er bisher nur gehört, dass sie irgendwie "von Nazis“ organisiert werden... Aha. Und da habe ich
gesprochen? Ich danke ihm für seine Contenance: er verlangt nicht,
dass ich ihm das jetzt im Einzelnen erkläre... what a friggin' mess!
Durch eine nebelige Nacht gelangen wir
ins fränkische Igelsdorf. Dort … igele ich mich ein. Kaum
Kommunikation. Nur Runterkommen, Schlaf, Unruhe, Schlaf, Nachdenken,
Schlaf. Dass ich zwischendrin mitansehen muss, wie meine Bayern mit
0:4 zuhause gegen Real Madrid aus der Champions League fliegen,
rundet meine Stimmung ab. Es folgt „Die Anstalt“. Konstantin
brilliert mit einem Meisterstück friedenspolitischer
Bewegungsdiplomatie. Mir ist sofort klar, dass es auf allen Seiten
haufenweise Leute geben wird, die ihn trotzdem in die eine oder
andere Richtung dringend missverstehen wollen werden.
Tags drauf sitze ich eingeklemmt
zwischen drei Musiker, zwei Gitarren, ein E-Piano und einen
Kontrabass im Auto Richtung Wien. Wieder ein paar Hundert Kilometer
herunterreißen. Langsam fühle ich mich wie Talleyrand auf seiner
Höllenfahrt quer durch Europa, nach Napoleons Niederlage bei
Waterloo. Aber wer ist Napoleon, wer der neue Bourbonen-König und
wo, verdammt, bleibt Blücher?
Noch besser: Ich habe vor lauter
Politisieren die Unterkunft für meine Musiker in Wien versemmelt.
Ich hätte ja bloß rechtzeitig Bescheid sagen müssen, aber jetzt
hat Freund Schlagitweit die Wohnung anderweitig vermietet. Ferdinand,
mein Kontrabassist und seine sowohl malende als auch atonal
komponierende Freundin haben heute noch einen Auftritt in Wien. Nein,
nicht in Wien, erfahre ich jetzt: in Tulln, vor Wien.
Immerhin, in Tulln habe ich
Verwandtschaft, die ich lange besuchen wollte. Einen sehr, sehr
entfernten Zweig unseres Künstlerklans, mit dem wir unnennbare
Zeiten keinen Kontakt hatten. Meine Schwester hat diese Tullner
Prosels aus dem Internet gefischt. Wir sind im 4. Grad cousiniert,
heißt es.
Wir kommen hin und die Malerin stellt
fest, dass das Haus ihres Bekannten – er hat ein Programm
entwickelt, das elektronische Malerei in Musik umsetzt oder etwas in
der Art – direkt neben dem Haus meiner Verwandtschaft liegt. Fängt
die Chaosenergie endlich an, sich ein wenig zu ordnen?
„Die müssen mit Dir verwandt
sein...“ sagt Ferdinand als wir vor dem Haus der Tullner Prosels
stehen. In meiner Familie gibt es eine hartnäckige Tendenz zu
Schlössern und alten Kästen aller Art. Und hinter dem Mäuerchen
sehen wir jetzt auf ein Anwesen, das einen klösterlichen Eindruck
macht.
Im Garten steht ein fantastischer
Magnolienbaum, eine rotblättrige japanische Kirsche und ein Baum mit
ahornzwickerartigen Fruchthülsen, der eindeutig kein Ahorn ist.
Maud und Andi sitzen auf dem Balkon. Direkt hinter dem Haus fliesst
die Donau entlang.
„Die müssen wirklich mit Dir
verwandt sein...“ sagt Ferdinand erneut. Alte Möbel in einem alten
Haus. Tatsächlich war das hier einmal Teil eines Klosters. Im
Wohnzimmer sind Stühle und Notenständer aufgebaut. Maud war ihr
Leben lang Musiklehrerin, liebt alte Musik und hat ein hochwertiges
Blockflötenensemble. Der Sohn ist Bassist, lebt in Wien und spielte
neulich mit Udo Lindenberg. Andi, der mir Kaffee eingießt, spielt
Klavier und ist ansonsten pensionierter Psychotherapeut: na, dann hat
er ja jetzt Zeit, die Familie zu therapieren, sage ich mir erleichtert.
Sascha, die Malerin, kommt vom Haus
ihres Bekannten zurück – dem mit dem Audioprogramm für
musizierende Maler. Der heisst Seppi – und ist der Neffe von Andi
und Maud!
Ich finde mein Vertrauen wieder zur
ordnenden Kraft meines königlichen Chaos. Bald darauf bieten Maud und
Andi meinen Musikern für diese Nacht ihr Gästezimmer an. Zeitgleich
erreicht mich ein Rückruf aus Wien. Dort habe ich nun auch für
meinen Pianisten ein Zimmer aufgetan. So hat sich alles hübsch geklärt.
Allein gehe ich zum Bahnhof und fahre
nach Wien, denn ich habe noch einen unaufschiebbaren Interviewtermin
im Interconti. Der Journalist hat wenige Tage zuvor einen Skandal
ausgelöst, weil er Jan Delay zitiert hat, der Heino als alte Nazi
bezeichnet hat. Jetzt noch ein Presseskandal um meine Person in
Österreich? Na, merci... ich sage nur äußerst unverfängliche
Dinge!
Kurz vor 23 Uhr schelle ich im Palais
Riedl 1 und begrüße Meister Riedl himself mit den Worten: „Freund
Riedl! Auf dem Transportmittel meines eigenen Zahnfleisches reisend,
erbitte ich ein Nachtasyl...“ Wir umarmen uns.
In der Küche sitzt Sir Roland und
schaut sich die Verfilmung des Musicals „Hair“ an. Ich bin
überrascht, wie wenig verstaubt dieses Werk von 1979 filmisch wirkt.
Aber bevor diese ganzen hübschen Jungs kahlgeschoren ins Flugzeug
steigen, um in Vietnam zu töten und getötet zu werden, verlasse ich
fluchtartig die Küche.
Im Wohnzimmer setze ich mich auf den
Diwan und breche den Versuch, Freund Riedl meine Situation in
Deutschland zu erläutern aber sogleich ab nach den Worten „Stefan,
ich bin umkämpft und fühle mich zerrissen, wie das Kind im
kaukasischen Kreidekreis...“
Wir hören Radio Stefansdom.
Wir reden über Stefans
Dekorationsentwürfe für den bevorstehenden Live Ball.
Wir vergessen den Krieg, umgeben von
alten Büchern, gigantischen Kandelabern und den großformatigen
homoerotischen Gemälden aus des Meisters eigener Hand. Wir sinken
zurück ins 18. Jahrhundert, die Katzen streichen mir ums Bein, Der
Riedl bringt mir einen frischen Weißwein … dann ziehe ich mich
zurück, um endgültig Ruhe zu finden.
Stattdessen finde ich auf meinem
Smartphone Emails und Nachrichten vor, die einer sofortigen,
nächtlichen Beantwortung bedürfen. Unruhig mich wälzend liege ich
lange wach: meine Flucht ins 18. Jahrhundert ist dieses Mal kläglich
gescheitert, so dämmert mir. Draußen höre ich im Morgengrauen eine
Blaskapelle. Sie spielt: „Die Arbeiter von Wien“. Es ist der 1.
Mai.
Abonnieren
Posts (Atom)