Meistgeliebte Obertanen!
Ich war im Himmel! Ich war im 17. Jahrhundert! Ich war … bei Stefan Riedl: Bühnenbildner, Maler, Freak und ältestes Wiener Blut.
Stefan Riedl ist in der Tat, und wie ich vermutet hatte, mit jenem Riedl verwandt, der in Karl Kraus "Die letzten Tage der Menschheit" wiederholt vorkommt. (Der Kammerdiener: "Verzeihn, Majestät: da Riedl kann heite nicht kommen." Kaiser Franz Joseph: "Wos? Kann ned kummen? Da Riedl?" Der Kammerdiener: "Wohl, Majestät! Der Riedl sein bettlägrig…" Der Kaiser: "Geh! Der sollt sich wos schammen, mit seine 86 Jahr, a so a junger Mensch…!")
"Mein Riedl!", sprach also gestern ich, das Königlich-Chaotische Haupt ehrlich ergriffen neigend: "Riedl: dass Du lebst! In dieser grauslich kulturvergessenen Zeit..." Nujo, meint der Riedl, vorgestern sei er amal draußen gewesen, das sei also in der Tat nicht grad schön dort.
Wir gehen durch diese Wohnung, die schlicht und edel die ganze Etage eines alten Stadthauses der Familie Riedl im I. Bezirk umfasst. Und Kinder, man wird es für eine naturwissenschaftliche Unmöglichkeit halten, jedoch: MIR verschlug es minutenlang die Sprache, vor Glückseligkeit! Bücher über Bücher, älteste, herrlichste Werke aus Jahrhunderten, über Kunst und Architektur und Geschichte. Rundherum erhabenste Möbel und Wandmalereien aus des Meisters eigener Hand, Decken so hoch wie in einer Kathedrale, Stickereien, ein uralter Flügel, eine Armee von Kerzenleuchtern, ein Streichholzschachtelhalter aus Messing - dazu klassische Musik von Radio Stephansdom.
"Der Komponist gehört erschossen! Das soll ein Cello sein?" regt der Riedl nebenher an und stellt mir das Weinglas auf den kleinen, runden Tisch mit den christlich motivierten Intarsien.
Daheim! Endlich daheim! 17. Jahrhundert, endlich daheim! Unser Gespräch hat etwas von einer Jahrhunderthauptversammlung der Kulturfossile. Unserer Herausgefallenheit aus einer Gegenwart, die wir herzlich verachten, mit jeder Faser bewusst, … nein: es ist grad andersherum: Hereingefallene sind wir! Hereingefallen in eine Zeit, die zu banal ist um den Begriff "Epoche" näherungsweise mit Bedeutung zu füllen. Eine Zeit "maßloser Epigonalität", wie der Riedl jetzt lässig hinwirft. "Frustrant…" lakonisiere ich hinterher: "Eine neue Klassik, das ist übrigens ganz aussichtslos. Da fehlen zwei Jahrhunderte Vorlauf." Der Riedl: "Eine Miniatur-Renaissance, das wär womöglich machbar…"
King Arthur sitzt auf dem ausladenden Sofa, schweigt, bröselt und baut… Diesen Arthur habe ich in der Herrensauna Kaiserbründl kennengelernt, wo er ehrenamtlich die fabelhaftesten Aufgüsse schmeisst, mit Früchten aus der Kühltasche und Erfrischungsgetränk. King Arthur hat ein Shiva-Tattoo auf dem Rücken, und ich bin umso dankbarer für diesen historischen Abend, als es mein alter, in Ewigkeit verehrter Hauptgott gewesen ist, der mir den Weg gewiesen hat in diesem Tunnel zu einer anderer Zeit. Zu einer anderen, vergessen geglaubten Zeit?
Ich hatte sie nie vergessen. Nur an ihrem Fehlen habe ich ewig gelitten. So, wie ich nicht durch die Stadt Nürnberg gehen kann, ohne das alte, weggebombte Nürnberg, dieses Venedig! - zu spüren, und seine sechsstöckigen Fachwerkhäuser.
"Nürnberg heute? Eine Katastrophe. Karstadtarchitektur, ein Skandal!" pflichtet mir der Riedl bei, als ich neuerliche Luftangriffe aus architekturpolitischen Gründen vorschlage, um Nürnberg von den Bausünden der Nachkriegszeit zu befreien.
Wien, aber: Du sollst leben und bleiben, wie Du warst und - zumindest beim KuK-Kunstrat Stefan Riedl - immer noch bist. "Vorwärts, ins 17. Jahrhundert!", küsse ich dem Riedl zum Abschied die Hand.
Prinz Chaos II.
Wien, Kaffeehaus Hummel
21. Dezember 2014
http://www.stefanriedl.at
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