Ich selbst war überrascht, als ich
mich plötzlich im Fernbus Richtung Wien wiederfand. Zu viele Tausend
Kilometer hatte ich in den vorangehenden Wochen auf Autobahnen und in
Zügen heruntergerissen. Die Vorstellung, erneut aufzubrechen, war
mir unerträglich.
Unerträglicher erwies sich die
Vorstellung, Sir Roland Kollowatsch die letzte Ehre – und Meister
Riedl beim Abschied von seinem Lebensgefährten meinen Beistand zu
versagen. So brach ich doch auf. Mit dem Fernbus. 200 Seiten „Krieg
und Frieden“ lesend, auf der Hinfahrt. Und 200 auf der Rückfahrt.
Sir Roland, den ich kaum zwei Jahre
gekannt habe, ist mir in erstaunlicher Weise ans Herz gewachsen. Von
der Menschheitsgeissel Krebs bereits sichtlich gezeichnet, war er mir
eine Brücke zu versinkenden Welten gewesen, die mir lieb und wert
wurden.
Nach meinem ersten Besuch in jenem
Wien, das mir König Arthur und Meister Riedl seither erschlossen
haben, hatte mir Sir Roland eine lange Email geschrieben.
Kontrastierend mit meinem liedgewordenen Reisebericht, erzählte er
darin von seinen schwulen Erlebnisse im Marokko der 60er und 70er
Jahre. Seither haben wir gelegentlich geschrieben und wenn ich in
Wien war, lauschte ich gierig den Geschichten und Anekdoten, die
dieser durch und durch literarische Mensch so fabelhaft zu erzählen
wusste. Und er wusste viel, denn er war ein Renaissancemensch, ein
Mann von polymathischem Wissen, das Gegenteil des Fachidioten.
Was für ein Kulturmensch! Über
Begebenheiten rund um die Wiener Staatsoper erzählte Sir Roland so
vertraut, wie andere vom Pausenhof ihrer Grundschule. Die
Dirigentenlegenden Peter Zadek und Leonard Bernstein waren ihm
freundschaftlich verbunden gewesen, ebenso war er gut bekannt mit dem
Friedensforscher Robert Jungk und dessen Frau und vielen anderen
Größen des Geisteslebens. Für den legendären SPÖ-Bundeskanzler
Bruno Kreisky war Sir Roland nicht nur als Redenschreiber tätig
gewesen, sondern er hat auch die neue Kulturpolitik der 70er Jahre
mitentwickelt, in deren Folge zum Beispiel Operninszenierungen live
im ORF ausgestrahlt wurden, um Hochkultur auch dem breiten Volk
zugänglich zu machen.
Ich stehe nunmehr neben König Arthur
in der Straßenbahnlinie 6. Diese Linie verfügt über gleich vier
Haltestellen namens Zentralfriedhof: Zentralfriedhof Tor 1, Tor 2,
Tor 3 und Tor 4. Wir steigen bei Tor 2 aus und gehen aber auf die
gegenüberliegende Straßenseite. Dort steht Schloss Neugebäude, ein
nie vollendetes Habsburger Bauprojekt. Ein Jagdschloss sollte das
werden. Seit 1922 ist in einem Teil des Gebäudes die Wiener
Feuerhalle untergebracht.
Die Christsozialen und die Katholiken
hatten das Projekt Feuerhalle seinerzeit kulturkämpferisch zu
verhindern gesucht. Denn die Feuerbestattung galt als zutiefst
unchristlich. Sie war vielmehr die bevorzugte Bestattungsform der
Arbeiter- und Freidenkerbewegung. Endlich setzte Jakob Reumann, der
erste sozialdemokratische Bürgermeister Wiens, den Bau durch und
ließ sich drei Jahre nach der Eröffnung selbst dort einäschern.
Heute also kam die Reihe an Sir Roland,
der ebenfalls ein Freidenker gewesen ist - und ein Rebell, wenn es
sein musste, auch. Väter- wie mütterlicherseits relevanten
Adelsgeschlechtern entstammend, ist er ein Prachtexemplar jener
Helden des schwulen Wien gewesen, die ich im Kreise um Arthur und
Stefan anzutreffen die fortgesetzte Ehre habe. Die erste
Homosexuelleninitiative Österreichs: Sir Roland hat sie
mitbegründet.
Als er mir jedoch erklären wollte, wie
die moralischen Abgründe der von mir vergötterten Stadt Wien
gelagert seien, erzählte er von der Suche nach einem neuen
Dienstsitz für den Österreichischen Bundespräsidenten. Sämtliche
in Frage kommenden Objekte, die die Verwaltung auf einer langen
Vorschlagsliste zusammengestellt habe, seien ausnahmslos „arisiertes“
Eigentum gewesen – von den Nazis enteigneter, jüdischer Besitz!
Sir Roland war nicht der Typ, solcherlei antisemitische
Niederträchtigkeiten zu verzeihen.
Wir sind etwas zu früh angelangt.
Außer Arthur, mir und den Bediensteten der Feuerhalle ist noch
niemand da, aber Sir Roland hätten die feschen Burschen in ihren
schwarzen Uniformen sicherlich gefreut. Nach und nach treffen dann
die Trauergäste ein, von denen ich die meisten durch die illustren
Sonntagssoireen in Palais Riedl 2 bereits kennengelernt habe.
Schwules Volk dreier Generationen. Die Familie Riedl. Und einige
hinreissende Damen der Gesellschaft, wie die Verlagsangestellte, die
jetzt eine Trauerrede für Sir Roland beisteuert, der über
Jahrzehnte hinweg führend im Klett Cotta Verlag tätig gewesen war.
Mit großem Sportsgeist habe er das lange Ringen darum angeleitet,
die Pons-Lexika durchzusetzen gegen die Marktdominanz der gelben
Langenscheidts. Andere rühmen des Verstorbenen Gelassenheit, seine
Kochkünste und seinen Humanismus.
Später werden wir uns beim
Leichenschmaus im Palais Riedl bei Weißwein und … noch mehr
Weißwein lange und prächtig unterhalten. Wir werden eines Menschen
gedenken, der durch Charakter und Geist bestach, der
Liebenswürdigkeit und Prinzipienfestigkeit in gleichen Maßen besaß
– und einen Lebensgefährten, dessen Treue und Liebe ihn bis zum
Schluss, bis zum allerletzten Atemzug begleitete.
Was für ein Privileg, denke ich mir,
für diese Generation schwuler Männer, für jene Pioniereinheiten
der Armee der Liebe: in den Armen des Freundes sterben zu dürfen!
Aber natürlich bleibt dann auch einer übrig und es ist gut zu
sehen, dass viele und viele unserem Freund Stefan Riedl zur Seite
stehen in diesen Tagen.
Soweit aber sind wir noch nicht. Noch
sitzen wir in der Feuerhalle und jetzt spielen sie das Lied von der
kleinen Zahnradbahn. Die wird außer Dienst gestellt, in diesem
hinreissenden Couplet und kurz vor dem zweiten Refrain setzen sich
jetzt die Zahnräder unterhalb des aufgebahrten Sarges in Bewegung.
Eine Klappe öffnet sich und der Sarg versinkt im Boden, um den
Flammen entgegenzufahren.
Leben können sie, in Wien, wie ich an
dieser Stelle oft genug beschrieben haben. Aber Wien, was das größte
Kompliment sein muss: Wien versteht zu sterben.
Servus Roland, und bis bald: - Du
großer, großer Menschenfreund.
<<Die
alte Zahnradbahn gehört
längst zum alten Eisen
die
jungen Leute woll'n heut' nicht mehr mit ihr reisen
sie
träumt vom schönen Wald und schaut auch mal zum Gipfel rauf
und
fährt im Geist noch einmal langsam langsam bis hinauf
Auf
ihrer letzten Fahrt träumt sie noch von der alten Zeit
die
längst vorbei ist und nie wieder kehrt in Ewigkeit
und
kleine Blümel winken, einmal kommt a jeder dran
dann
fahrts im Himmel rauf die alte Zahnradbahn>>
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